Von den Sternen gekuesst
Schicksal zu erfüllen, das sie nicht selbst gewählt hatte, schienen sie ihren Verstand gekostet zu haben.
»Ich frag ihn für dich«, flüsterte Ambrose, laut sagte er: »Jules möchte wissen, ob Vincent Violette gehorchen muss, wenn er an sie gebunden ist.«
Mir war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, dass Jules bei uns war. Ihn in der Nähe zu wissen, beruhigte mich. »Wenn Violette seinen Geist nur dafür braucht, um die Kräfte des Meisters auf sich zu übertragen«, antwortete Gaspard, »können wir hoffen, dass sie ihn danach wieder freilässt. Doch selbst wenn sie das nicht tut, kann man eine wandernde Seele nicht dazu zwingen, etwas gegen ihren Willen zu tun.«
Arthur meldete sich zu Wort. »Ich erlaube mir zu widersprechen«, wandte er entschuldigend ein. »Es gibt historische Belege solcher Nötigungen.«
»Zum Beispiel?«, fragte Jean-Baptiste.
»Unsere italienischen Anverwandten berichten von einem Zwischenfall, der in der Renaissance stattfand«, erklärte Arthur. »Ein Numa-Anführer tötete eine erst frisch erwachte Bardia und band ihren volanten Geist an sich, indem er seine linke Hand mit ihrer Leiche verbrannte. Er drohte damit, ihre noch lebenden Familienmitglieder umzubringen, wenn sie sich seinem Willen widersetzte. Durch die Stärke seines Seelensklaven wurde er überaus mächtig.«
»Dann ist es ja gut, dass Vin keine lebenden Verwandten mehr hat«, meinte Ambrose. Leiser Triumph lag in seiner Stimme. »Keine sterblichen Druckmittel, die unsere kaltblütige Kaiserin gegen …« Als ihm bewusst wurde, was er da sagte, verstummte er und verbarg sein Gesicht in den Händen.
Er sah mich nicht einmal an. Musste er auch gar nicht. Das machten nämlich alle anderen Anwesenden schon.
D ass Violette Vincent mit einer Sterblichen, die ihm nahesteht«, Gaspard wich meinem Blick aus, »erpresst, ist – wie man sich wohl heutzutage ausdrücken würde – an den Haaren herbeigezogen. Es kann gut sein, dass ihr diese alte Geschichte nicht mal bekannt ist. Und selbst wenn, bezweifle ich stark, dass sie Verwendung für Vincents Revenantseele hat, die nach der Übertragungsprozedur sowieso stark geschwächt sein wird.«
Mit diesen Worten wollte er mir Trost spenden. Und ansatzweise gelang es ihm. Was er da sagte, war rational. Doch Violette hatte mich schon einmal dazu benutzt, um an Vincent heranzukommen. Der Gedanke daran, dass sie das noch einmal tun könnte – diesmal, damit Vincent gegen seinen Willen handelte –, war einfach unerträglich.
Jean-Baptiste wandte sich an die versammelten Revenants. Seine stocksteife Haltung, die durchgedrückte Brust und die hinter dem Rücken verschränkten Hände zeigten deutlich, dass er einst General bei Napoleons Armee gewesen war. »Genug der düsteren Szenarien. Der Körper einer unserer Anverwandten – nicht zuletzt meines Stellvertreters – wurde bereits den Flammen übergeben. Wir müssen sofort handeln, um wenigstens seinen Geist zu retten, und mit allen Mitteln verhindern, dass Violette ihr Ziel erreicht.«
Und schon verteilte er Aufgaben. Arthur sollte mit einem Aufgebot zu Violettes Schloss in Langeais aufbrechen. Er hatte dort selbst über Jahrhunderte gelebt und wusste daher, wo man eine Gruppe von Spionen am besten verstecken konnte, um Violettes kleinste Regung genau im Auge zu behalten. Da Jules volant war, sollte er ihnen folgen, sich in das Schloss begeben und versuchen, Kontakt zu Vincent aufzunehmen. Und Ambrose sollte sich um die Verteidigung gegen die in Paris verbliebenen Numa kümmern. »Würdest du bitte als Erstes dafür sorgen«, bat JB, »dass Kate sicher nach Hause kommt?«
»Nach Hause?« Ich sprang von der Couch und schleuderte dem Oberhaupt der Revenants entgegen: »Nein! Ich will euch helfen. Es muss doch etwas geben, das ich tun kann.«
Jean-Baptiste deutete meinen Gesichtsausdruck ganz richtig. »Meine liebe Kate, ich meine das nicht herablassend, sondern durch und durch rücksichtsvoll. Zu diesem Zeitpunkt, ganz besonders zu dieser späten Stunde, kannst du wirklich nichts Sinnvolleres tun, als nach Hause zu gehen und dich schlafen zu legen, damit du morgen früh einen frischen Kopf hast für eventuelle Neuigkeiten.«
Ich sah ihn skeptisch an, doch er wirkte aufrichtig – nicht so, als ob er von oben herab zu einer schwachen, wehrlosen Sterblichen sprach. Trotzdem war ich nicht seiner Meinung. Ich konnte sehr wohl etwas tun. Schließlich gab es jemanden, mit dem ich sprechen konnte und der womöglich nützliche
Weitere Kostenlose Bücher