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Von den Sternen gekuesst

Von den Sternen gekuesst

Titel: Von den Sternen gekuesst
Autoren: Amy Plum
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neben ihn. Arthur setzte sich vor mir auf den Teppich. Die verbleibenden Revenants verteilten sich und alle Blicke lagen auf mir. Als ich mich räusperte, verstummten alle.
    Ich erzählte ihnen, wie Nicolas mir auf die Pont des Arts gefolgt war, um mir Violettes Nachricht zu überbringen. Nämlich, dass sie Vincents Leiche in ihr Schloss an der Loire gebracht hatte, um sie dort zu vernichten, »wenn die Zeit dafür gekommen« war. Außerdem hatte er mir noch erklärt, warum die Numa sich überhaupt auf Violette eingelassen hatten: Ihr war es gelungen, Lucien davon zu überzeugen, dass sie das geheime Ritual kennt, mit dem man die Kräfte des Meisters auf sich übertragen kann. Noch dazu hat sie versprochen, diese Kräfte im Kampf gegen die Bardia einzusetzen.
    Nachdem ich auch Vincents Botschaft weitergegeben hatte, sagte ich: »Und das war alles. Seine Stimme verstummte plötzlich, mitten im Satz.« Ich lass sie mal in dem Glauben, dass seine letzten Worte die an seine Anverwandten waren , dachte ich. Seine wirklich letzten Worte waren mir zu persönlich – und taten viel zu weh –, als dass ich sie mit allen Anwesenden hätte teilen wollen.
    Eine Sekunde lang herrschte entsetztes Schweigen und dann redeten alle auf einmal. Ambrose ließ mich los, stand auf und stimmte in das allgemeine Stimmengewirr ein. »Worauf warten wir? Los, stürmen wir das Schloss!«
    Jean-Baptiste schüttelte nur mit ernster Miene den Kopf, bevor er alle anderen mit lauter Stimme übertönte. »Es ist zu spät.« Sofort war es mucksmäuschenstill, als hätte jemand mit einem Löffel an ein Glas geklopft, um für Ruhe zu sorgen. »Bis wir dort sind, ist Vincents Körper längst verbrannt und sein Geist an Violette gebunden.«
    »Was bedeutet das denn überhaupt genau?«, wollte Ambrose wissen und setzte sich wieder zu mir. Sofort schauten alle fragend zu Gaspard, der für gewöhnlich die Erklärungen lieferte.
    Mittlerweile war seine anfängliche Aufregung so weit abgeebbt, dass Gaspard wieder in sein normales, nervöses Gehabe verfallen war. Er zupfte an seinem Hemdkragen und hob dann einen zitternden Zeigefinger, seine wüste Frisur wirkte fast wie ein schwarzer Heiligenschein.
    »Eine wandernde Seele, also der Geist eines Revenants, der keinen irdischen Körper mehr hat, ist an sich schon ein sehr seltenes Phänomen«, hob er an. »Wenn es unseren Feinden gelingt, einen von uns zu töten, dann vernichten sie die Leiche für gewöhnlich sofort und mit ihr verschwindet auch der Geist. Es gibt keinen Grund zu warten, bis jemand volant ist, und dann erst die Leiche zu vernichten – was eben dazu führt, dass man für immer als wandernde Seele auf der Erde verbleibt. Abgesehen vielleicht von einem Vergeltungsschlag, der sich gegen einen bestimmten Revenant richtet.
    Aber dass jemand den Geist eines anderen an sich bindet , passiert so selten, dass mir kein Fall aus der jüngeren Vergangenheit bekannt ist. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, angesichts des extremen Opfers, das ein Numa dafür bringen muss.« Gaspard verzog das Gesicht.
    »Was für ein extremes Opfer?« Mein Hals schnürte sich zu. Gaspards angewiderte Miene machte mir Angst.
    Einige nervenzehrende Sekunden lang erwiderte er nichts, wohl um die richtigen Worte zu finden. Dann sagte er: »Zusammen mit dem Leichnam der Person, deren Geist man an sich binden will, muss man einen Teil von sich selbst einäschern.«
    »Was denn? So was wie Haare oder Fingernägel?« Angeekelt kräuselte ich die Nase.
    »Nein, es muss ein Teil mit Fleisch und Knochen sein«, antwortete Gaspard.
    Ihh , dachte ich und fuhr zusammen, weil ich sofort ein abscheuliches Bild vor Augen hatte.
    »Das ist doch kein wirkliches Opfer«, sagte Ambrose. »Egal, was Violette sich dafür abhackt, es wird doch eh wieder nachwachsen, wenn sie das nächste Mal ruht.«
    Gaspard schüttelte den Kopf. »Von den Schmerzen abgesehen, die dieses ›Abhacken‹, wie du es nennst, verursacht, liegt das Opfer genau darin: Der Körperteil, den ein Numa mit einem Revenant verbrennt, verschwindet für immer. Da wächst nichts nach.«
    Ich lehnte mich dichter an Ambrose. Mir war schlecht und langsam wurde alles in mir taub, doch ich kämpfte dagegen an. Violette wollte einen Teil von sich abtrennen, um Vincents Geist an sich zu binden? Ich wusste ja, dass sie ihn getötet hatte, weil sie seine Kräfte wollte. Aber sich dafür für immer selbst verstümmeln? Die vielen Jahrhunderte, die Violette damit zugebracht hatte, ein
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