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Vom Zauber der Rauhnächte - Weissagungen, Rituale und Bräuche für die Zeit zwischen den Jahren

Vom Zauber der Rauhnächte - Weissagungen, Rituale und Bräuche für die Zeit zwischen den Jahren

Titel: Vom Zauber der Rauhnächte - Weissagungen, Rituale und Bräuche für die Zeit zwischen den Jahren
Autoren: Irisiana Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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folgende Märchen aus Russland. Für uns ist es ein wundervoller Ausdruck für die Kraft der tieferen Ordnung, die allem Natürlichen innewohnt und das wirklich Überdauernde ist. Orientiert man sich an dieser Ordnung, soweit es einem Menschen auch in modernen Zeiten möglich ist, dann scheinen plötzlich sogar Wunder wahr zu werden.

    Die zwölf Monate
    Vor langer, langer Zeit stand mitten in den Weiten der russischen Wälder ein hübsches Schloss. In ihm regierte ein zwölfjähriges Mädchen das Land, seit seine Eltern, das Königspaar, verstorben waren. Es war eine stolze und kecke kleine Königin. Am Silvestertag saß sie mit ihrem Lehrer im Schulzimmer. Der Professor zählte die zwölf Monate auf und erklärte, dass immer einer auf den anderen folgt, immer im selben Kreislauf. Da unterbrach ihn die Königin: Ref 2
    »Wenn es nun aber mein Wille ist, dass der April schon jetzt beginnt?«
    »Das ist unmöglich, Majestät!«, antwortete der Professor.
    »Wie bitte?« Die Königin zog eine Augenbraue hoch.
    »Nicht ich widerspreche euch, Majestät, es sind die Wissenschaft und die Natur selbst.«
    »Papperlapapp! Und wenn ich ein Gesetz erlasse, dass heute April ist, und mein Großsiegel daraufdrücke?«
    Der Professor gab sich alle Mühe, die Königin von den Gesetzen der Natur zu überzeugen, doch er riskierte Kopf und Kragen. Die kleine Königin ließ ihn schließlich einen Befehl ausrufen, dass zum Neujahrsempfang morgen ein Korb voller Schneeglöckchen geliefert werden solle – gegen eine fürstliche Belohnung.
    Diesen Befehl nun hörte eine alte Frau, die eine faule, garstige Tochter und eine liebreizende, fleißige Stieftochter hatte. Den ganzen Tag über schikanierte die Alte das Stiefkind. Das Mädchen war vom Morgengrauen bis in die Nacht tätig, es sammelte Reisig, war auf dem Feld, kochte, wusch und putzte, doch nichts konnte es der Stiefmutter recht machen. Und nun befahl die herzlose Alte dem Kind, in den bitterkalten, tief verschneiten Wald zu gehen, um einen Korb voller Schneeglöckchen zu holen. Was nützten ihm das Argumentieren und das Klagen? Die Stiefmutter kannte kein Erbarmen. Und so zog das Mädchen los.

    Draußen im dichten Dickicht war alles so tief gefroren, dass selbst die Tiere zitterten und jammerten. Weit war das Mädchen gelaufen, und es war bereits dunkel, als es sich erschöpft unter einen Baum setzte. Plötzlich traf es ein Tannenzapfen an der Schulter, und es schreckte auf.
    »Nicht einschlafen«, rief ein Eichhörnchen, »du erfrierst.«
    »Wieso kannst du denn sprechen?«, fragte das Mädchen.
    »Ich kann immer sprechen«, lachte das Eichhörnchen, »aber heute hörst du mich, denn es ist ja die Neujahrsnacht.«
    Mit einem Mal entdeckte das Kind einen Feuerschein in der Ferne. Staunend raffte es sich auf und ging dem Licht entgegen. Als es näher kam, erkannte es, dass um ein großes Feuer zwölf Männer herumstanden, alte und junge. Einer der Ältesten mit einem langen weißen Bart wandte sich gerade an den Nächsten, der ebenfalls sehr alt war. Er überreichte ihm einen Stab mit langen Eiszapfen und sagte: »Bruder Januar, meine Zeit ist vorbei, übernimm du die Geschäfte.«
    »Danke, Bruder Dezember, ich werde für alles Wohl in der Welt und der Natur weiter sorgen.«
    Da erblickten die Männer das frierende Mädchen und luden es ein, sich am Feuer zu wärmen. Als sie es fragten, was es denn um diese Zeit im Wald zu suchen habe, erzählte es von seinem Auftrag. Bruder März lachte und stieß Bruder April an: »Schneeglöckchen will sie, dann ist sie also dein Gast!«
    Alle lachten, und das Mädchen sagte traurig: »Ich würde so gern mit euch lachen, aber ich darf ohne die Schneeglöckchen nicht nach Hause kommen.« Sie wandte sich zum Gehen. »Habt Dank, dass ich mich bei euch wärmen durfte. Bitte verzeiht, wenn ich euch gestört habe.«
    Der April aber rief sie zurück. »Halt, ich möchte dir helfen. Bruder Januar, überlass mir für eine Stunde deinen Platz.«

    »Das geht nicht. Der April darf nicht vor dem Februar und dem März kommen.«
    »Oh, an mir soll es nicht liegen«, rief Bruder März. Und auch der Februar war einverstanden.
    Da schlug Bruder Januar mit dem Stab auf die Erde und rief seinen Spruch in den Wald hinaus. Der Schneesturm legte sich. Er reichte den Stab an den Februar und an den März weiter. Die Seen tauten auf, der Schnee schmolz, die ersten Vögel kehrten wieder. Und als Bruder April den Stab übernahm, spitzte das erste Grün aus der Erde
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