Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Titel: Vom Himmel hoch
Autoren: Hannes Nygaard
Vom Netzwerk:
Stunden tot. Offen ist noch, woran er gestorben ist.«
    Der Arzt kratzte sich nachdenklich am Hals. »Es ist
merkwürdig. Es hat den Anschein, als wäre er vom Himmel gefallen. Sehen Sie
einmal hier, das ist ganz typisch für einen Sturz aus größerer Höhe.«
    Mit einem Kugelschreiber als Zeigestock wies er auf
spitze Ausbuchtungen unterhalb des Knies sowie an den Oberschenkeln.
    »Hier sehen Sie die Spitzen der gebrochenen Ober- und
Unterschenkel, die sich durch das Gewebe nach außen bohren. Dort«, er deutete
auf das Gelenk, »sehen Sie, wie der Fuß nach hinten geknickt ist? Damit ist er
vermutlich aufgekommen. Und dann noch dies«, Dr. Hinrichsen umfasste vorsichtig
den Kopf des Toten und bewegte ihn leicht hin und her. »Hören Sie das leichte
Knacken? Ein eindeutiger Genickbruch.«
    »Also ein Engel«, kommentierte Große Jäger.
    Christoph sah den Oberkommissar fragend an.
    »Nun ja, wenn er aus dem Himmel fällt«, erklärte
dieser. »Aber wie soll das funktionieren?« Er ließ seinen Blick über den
Marktplatz schweifen. »Hier gibt es keine Hochhäuser, keine Gerüste oder
Gestelle, nicht einmal Bäume, ganz zu schweigen von einem Laternenpfahl. Sind
Sie sich da sicher, Doc?«
    Ein unterkühlter Blick des Arztes streifte den
Oberkommissar.
    »Wenn ich eine solche Vermutung ausspreche, habe ich
meine Gründe. Es mag ja sein, dass Sie es besser wissen. Ich kann Ihnen zuliebe
doch nicht erklären, dass er hier auf dem Marktplatz in einer Bierlache
ertrunken ist.«
    »Schon gut«, lenkte Große Jäger ein, »ich wollte ja
Ihre Diagnose nicht in Zweifel ziehen. Es klingt aber sehr unwahrscheinlich,
dass der Tod durch einen Sturz ausgelöst wurde. Das lässt nur die Vermutung zu,
dass Fundort und Tatort nicht identisch sind.«
    Erneut schüttelte der Doktor den Kopf. »In diesem
Punkt muss ich Sie enttäuschen. Hier«, noch einmal wies er mit seinem
Kugelschreiber auf den Toten, »diese Symptome sind typisch für Verletzungen bei
einem Sturz aus größerer Höhe. Wenn jemand die Leiche von einem anderen Ort
hierher transportiert hat, dann muss er schon einiges von Anatomie verstehen,
um die Stellung der Knochen exakt so auszurichten, wie es typisch für den
Aufschlag ist.«
    Der Doktor legte seine Hand auf den Leib des Toten und
bewegte sie ein wenig hin und her. Es sah merkwürdig aus, fast so, als würden
die Fettmassen einer sehr beleibten Person in Schwingung versetzt. Dabei
handelte es sich um einen Mann mit einer durchaus sportlich anmutenden Figur.
    »Wenn er aus großer Höhe abgestürzt sein sollte –
nehmen wir das einmal an –, so müssten doch Verletzungen erkennbar sein«,
wandte Christoph ein.
    »Das ist eine typisch laienhafte Vermutung. Die Haut
des Menschen ist überraschend elastisch«, erklärte der Doktor. Erneut bewegte
er seine Hand auf dem Leib des Toten.
    »Sieht ein wenig aus, als würde man die Liegefläche eines
Wasserbettes in Bewegung bringen. Das liegt daran, dass alle inneren Organe
zerstört wurden. Außerdem sind natürlich die Gefäße geplatzt, und die
Körperflüssigkeiten haben sich im Rumpf angesammelt. Wenn Sie möchten, kann ich
Ihnen gern einmal schildern, wie die Obduktion in solchen Fällen abläuft.« Er
sah den Oberkommissar herausfordernd an.
    Große Jäger wandte sich nach seinem Disput mit dem
Arzt ab und brummte leise vor sich hin: »Wie will der so etwas beurteilen. Die
höchste Erhebung in Nordfriesland ist die Deichkrone. Und wenn von dort jemand
herabstürzt, verletzt er sich höchstens am Dung der Deichschafe.«
    »Ich möchte Ihre Theorie nicht in Frage stellen«,
mischte sich Christoph ein, »aber im ersten Moment wirkt es rätselhaft. Haben
Sie eine Vermutung, aus welcher Höhe er abgestürzt ist?«
    Dr. Hinrichsen zog die Stirn kraus. »Schwer zu sagen.
Genaueres kann erst die Autopsie ergeben. Ich vermute aber – völlig außerhalb
des Protokolls – dass es mindestens aus der Höhe einer vierten Etage gewesen
sein muss.«
    Christoph rümpfte ungläubig die Nase. »Das ist eine
harte Nuss. Wie soll jemand hier, mitten auf dem Platz, aus dieser Höhe
abstürzen? Der muss wirklich vom Himmel gefallen sein.«
    Der Arzt zuckte die Schultern. »Das zu erklären, mein
Lieber, wird Ihr Problem sein.«
    »Oder auch nicht«, erwiderte Christoph, als eine
kleine Wagenkolonne den Marktplatz erreichte.
    Dem ersten Wagen entstieg eine mittelgroße schlanke
Frau. Das rötlich gefärbte nackenlange Haar umrahmte ein ebenmäßiges Gesicht,
in dem nur die etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher