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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest
Autoren: Rainer Nikowitz
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dem Gesicht zusammen. In dieser Position hatte er weite Teile von Suchaneks Jugend verbracht. Suchanek war sich deswegen nie völlig sicher gewesen, seinen Vater bei einer Gegenüberstellung auch zweifelsfrei identifizieren zu können.
    Beim Einundzwanziger-Wantuschka hatte sich Suchanek dann so weit eingebremst, dass er umdrehen und zum Hauptplatz zurückfahren konnte. Als er aus dem Auto stieg, fiel ihm der Werbeslogan am Heck des Busses ins Auge: «Ist das Leben wieder einmal beinhart – fahr auf Urlaub mit der Firma Schweinbarth.»
    Suchanek atmete ruckartig aus, wie ein Athlet vor dem Start eines großen Rennens. Dann ging er mit hängenden Schultern auf seine Eltern zu.
    «Viertagebodenseeinselmainauschaffhausenrheinfall».
    Wochenlang hatte er das jetzt am Telefon gehört. Immer in der Maxi-Version, um der ohnehin schon großen Fahrt noch tonnenschwerere Bedeutung zu verleihen. Nie sagte seine Mutter einfach: «Wir fahren an den Bodensee.» Das war ihr zu prosaisch. Sie sagte: «Wir fahren Viertagebodenseeinselmainauschaffhausenrheinfall.» Und manchmal fügte sie noch triumphierend hinzu: «Dort wachsen Palmen.»
    Einmal sagte Suchanek darauf: «Wo genau? In Viertage?»
    «Was?»
    «Die Palmen. Oder doch in Rheinfall?»
    «Du bist immer nur blöd. Nichts leisten, aber Hauptsache, blöd sein. Die Palmen wachsen auf der Insel Mainau. Beim Grafen.»
    «Was bei dem alles wächst», sagte Suchanek.
    Unter normalen Umständen hätten ihm seine Eltern auch niemals Haus und Hund anvertraut. Die Tante Anni, die auch in Wulzendorf wohnte und die eigentlich gar nicht Suchaneks Tante war, sondern eine Cousine seines Vaters, die zur Tante mutiert war, weil ja Großcousine in den heutigen haltlosen Zeiten nicht mehr wirklich als Verwandtschaft gilt und weil man Kindern ja schnell einmal jemanden als Tante verkauft, der noch viel weniger ist als eine Großcousine, nämlich beispielsweise gar nichts, die Tante Anni also wäre natürlich an sich die erste Wahl für diese diffizile Aufsichtstätigkeit gewesen. Aber die hatte für Freitag endlich den lang erwarteten Operationstermin bei diesem Gefäßspezialisten bekommen, dem König der Krampfadern, der ihr vermutlich so ungefähr alle Venen aus den Beinen ziehen würde. Das hatte er schon bei der Nachbarin von der Tante Anni gemacht, und die hatte seitdem wieder Haxen wie eine Junge. Bei der Tante Anni würden sich zwar trotz der zweifellos magischen Hände des Krampfadernkönigs allenfalls noch die Haxen einer jungen Elefantenkuh ausgehen, aber gut.
    Suchaneks Schwester wiederum, eine prinzipiell hochgradig verlässliche Zweitbesetzung, die ein paar Dörfer weiter wohnte, war nicht verfügbar, weil sie etwas hatte, das Suchanek nicht hatte: einen Job. Noch dazu einen, bei dem sie manchmal auch an Feiertagen arbeiten musste, also zum Beispiel heute. Das hätte ja Suchanek schon allein aus ideologischen Gründen niemals gemacht. Und zwar nicht, weil er reumütig in den Schoß der katholischen Kirche zurückgekehrt wäre, nein. Aus Protest gegen den seelenlosen Neoliberalismus, jawohl! Auch zu Christi Himmelfahrt. Eigentlich vor allem zu Christi Himmelfahrt. Aber seine Krankenschwester-Schwester hatte da halt nicht so ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein.
    Also blieb nur mehr er.
    Und wie er geschworen hatte, pünktlich zu sein! Wenn es nur wegen des Transports auf den Hauptplatz gewesen wäre. Dann. Aber es hätte schließlich gegolten, Suchanek mit dem allabendlich und darüber hinaus auch im Falle nur kurzzeitiger Abwesenheit vom Zielobjekt strikt einzuhaltenden Abschließplan für das Anwesen vertraut zu machen. Ihn im fachgerechten Gebrauch diverser technischer Geräte, wie dem automatischen Garagentor, der Wasserpumpe, die in letzter Zeit so komisch gurgle und deshalb sicherheitshalber täglich entlüftet werden müsse, oder der brandgefährlichen Brotschneidemaschine zu schulen. Weiters eine artgerechte Bewässerung des Gemüsegartens sicherzustellen. Und und und.
    Und nicht zuletzt hätte Suchanek natürlich unbedingt in den ernährungswissenschaftlich wasserdichten Menüplan des Hundes eingeweiht werden müssen. Wie hieß der Hund noch einmal? Das konnte doch nicht wahr sein. Seine Eltern hatten das Vieh jetzt seit zwei Jahren. Suchanek wusste zumindest genau, dass er nicht Henry hieß wie alle Dackel zuvor. Es war mehr was Österreichisches, seine Mutter hatte mit einem Mal befunden, Wulzendorf sei schließlich nicht Westminster oder Wisconsin und deshalb heiße
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