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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
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seinen Kragen
zurückfallen und richtete sein Hemd. »Schöne Scheiße. Aber sieh es positiv,
immerhin musstest du keinen Treuhandfonds für eine Collegeausbildung
einrichten.«
    Â»Auch wieder wahr.« Ich nahm
mir eine vergessene Fritte von seinem Tablett.
    Â»Dann sind wir jetzt also Narbenbrüder?«,
fragte er.
    Ich nickte hastig, auch wenn
ich mich ein wenig dafür schämte, wie sehr ich Charles’ Freundschaft brauchte.
    Â»Dann hör mir jetzt gut zu,
Edie. Was ich dir eigentlich sagen wollte, ist Folgendes: Ich weiß noch, wie es
sich anfühlt, wenn man neu ist. Die ganze Aufregung … man kommt sich vor wie in
einem großen Abenteuer – aber diese Einstellung ist gefährlich. Du musst dich
schützen. Denk immer daran: Für die sind wir Wegwerfware.«
    Ich musste nicht nachfragen,
wer die waren. Die waren die Vampire, die versucht hatten, mich umzubringen. Und auch der
Zombiefreund, der so dringend aus der Stadt hatte verschwinden müssen. Ich kam
mir wirklich wie Wegwerfware vor. Und die frischen Narben halfen mir auch nicht
gerade dabei, dieses Gefühl loszuwerden.
    Â»Also, keine weiteren
Heldentaten. Pass auf dich auf. Ich hätte dich gerne noch eine Weile bei uns.«
    Es machte mich unglaublich
froh, das von jemandem zu hören, der nicht mit mir verwandt war. »Danke,
Charles.«
    Â»Gern geschehen.« Er leerte
sein Getränk und stand auf. »Gehen wir, wir haben noch fünf Stunden
Lehrfilmmarathon vor uns.«
    Wir zogen uns an und
verließen das Restaurant. »Welchem wundervollen Thema widmet sich wohl der
nächste Film?« Ich hätte mir noch eine Cola mitnehmen sollen, vielleicht wäre
der Drang zu pinkeln dann so stark geworden, dass mich das für den Rest des
Kurses wach gehalten hätte.
    Â»Ebola-Alarm: Tausend qualvolle
Todesarten«, schlug Charles vor. »Oder: Mr. Strahlung, der fiese Freund von
Onkel Röntgen.« Ich lachte.
    Â»Besonders gut hat mir der
gefallen, in dem sie erklärt haben, wie man ein Krankenhaus evakuiert, indem
man die Patienten einen nach dem anderen durchs Treppenhaus schiebt.« Ich war
mir nicht einmal sicher, ob es auf Y4 überhaupt ein Treppenhaus gab. Bisher war ich
immer mit dem Aufzug rein und raus gekommen.
    Â»O Mann, wenn wir das machen
würden, käme am Ende eine Katastrophe dabei raus, à la Hurrikan Katrina. Einige
Patienten würden zurückgelassen werden, das Personal würde falsche
Entscheidungen treffen … Falls es jemals so schlimm kommt, bleibe ich zu
Hause.« Charles drückte auf den Fußgängerknopf, und ich beschloss, das Thema zu
wechseln.
    Â»Wie kam es denn zu diesem
Werwolfangriff?«
    Er hielt die Augen zwar weiter
auf die Ampel gerichtet, aber ich konnte sehen, dass Charles eigentlich in die
Vergangenheit blickte. »Frag mich noch mal bei unserem Lebenserhaltungskurs.
Dann können wir Anekdoten austauschen.«
    Â»Das ist fair.«
    Auf der anderen Straßenseite
tigerte ein Mann nervös auf und ab. Unter seiner Mütze ragten ein paar weiße
Haarsträhnen hervor. Zunächst dachte ich, er wollte sich nur warm halten, aber
je länger er hin und her wanderte, desto mehr bekam ich den Eindruck, dass er
wütend war. Die Ampel sprang um, und der Verkehr kam zum Stillstand. Charles
und ich traten gleichzeitig mit dem Mann von der anderen Seite auf die Straße.
Wir hatten erst eine halbe Fahrspur hinter uns gebracht, als ein Laster, der
zunächst wegen der roten Ampel zu bremsen schien, plötzlich beschleunigte. Ich
hörte, wie das Getriebe hochschaltete, schaute auf und sah, dass der Mann gegenüber
ebenso überrascht den Blick hob.
    Es erwischte ihn mit voller
Wucht.
    Für einen kurzen Moment hing er
mit ausgebreiteten Armen am Kühlergrill, als wollte er den Laster triumphierend
an sich drücken. Dann wurde er in die Luft geschleudert. Fassungslos blieb ich
mitten auf der Straße stehen und konnte nicht glauben, dass ich tatsächlich
Zeuge wurde, wie jemand durch die Gegend flog. Er beschrieb einen großen Bogen,
schlug auf dem Boden auf, prallte ab, rutschte noch ein Stück und blieb dann
liegen. Hinter ihm hatte sich eine rote Schmierspur gebildet.
    Der Aufprall hatte eine halbe
Sekunde gedauert, die Landung ebenfalls, dann fuhr der Laster einfach weiter.
Er verfehlte den aufschlagenden Körper des Mannes nur um wenige Zentimeter und
hinterließ eine blutige
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