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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht
Autoren: William Gibson
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Baumwollhemden. Die Hemden waren
    eindeutig teurer gewesen als die Anzüge oder zumindest genauso teuer, und sie trugen niemals Krawatten und machten auch nie den obersten Knopf auf. Rydell hatte angenommen, daß Architekten sich so kleideten; jetzt, wo er in Los Angeles lebte, wußte er, daß es stimmte.
    Er
    hatte zufällig gehört, wie einer von ihnen dem
    Vorarbeiter erklärt hatte, was sie wollten, sei, die Integrität des Materials auf seiner Reise durch die Zeit sichtbar zu machen. Wahrscheinlich war das Stuß, dachte er, aber trotzdem klang es irgendwie gut; wie das, was mit alten Leuten im Fernsehen passierte.
    In Wirklichkeit lief es jedoch darauf hinaus, daß sie den größten Teil dieser gräßlichen alten Farbe von unzähligen Quadratmetern gleichermaßen gräßlicher Schlackensteine abkratzten, und zwar mit oszillierenden Spritzdüsen am Ende von langen, rostfreien Stangen.
    Wenn man glaubte, daß der Vorarbeiter gerade nicht hinschaute, konnte man damit auf einen von den Jungs zielen und einen zehn Meter langen Hahnenschwanz in allen Regenbogenfarben rauslassen, der reichlich zwiebelte und den ganzen Sonnenschutz 'runterholte.
    Rydell und seine Freunde benutzten alle dieses
    australische Zeug, das richtig gefärbt war, so daß man sehen konnte, wo man's draufgeschmiert hatte und wo nicht. Man mußte aber aufpassen, daß man immer
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    ordentlich Abstand hielt, denn von nahem konnten die Düsen den Chrom von einer Stoßstange raspeln. Rydell und Buddy Crigger wurden schließlich beide deswegen gefeuert, und dann gingen sie in eine Bierkneipe an der Jeff Davis, und Rydell verbrachte die Nacht am Ende mit diesem Mädchen aus Key West — das erste Mal, daß er neben einer Frau geschlafen hatte.
    Und jetzt war er hier in Los Angeles und fuhr einen sechsrädrigen Hotspur Hussar mit zwanzig von Hand aufgetragenen Wachsschichten. Der Hussar war ein gepanzerter Landrover, der auf gerader Strecke
    hundertvierzig Meilen machte, vorausgesetzt, man hatte freie Bahn und genug Zeit, um ihn auf Touren zu bringen.
    Hernandez, der Chef in seiner Schicht, sagte, man könne sich nicht auf die Engländer verlassen, sobald sie was Größeres anfertigten als einen Hut — jedenfalls nicht, sofern man Wert drauf legte, daß es funktionierte, wenn man's brauchte; er sagte, IntenSecure hätte in Israel oder zumindest in Brasilien einkaufen sollen, und wer müßte sich denn schon von Ralph Lauren einen Panzer entwerfen lassen?
    Von solchen Sachen hatte Rydell keine Ahnung, aber diese Wachsnummer war eindeutig zuviel des Guten.
    Wahrscheinlich wollten sie bei den Leuten Erinnerungen an diese großen braunen United-Parcel-Wagen wecken, dachte er, und zugleich spekulierten sie vielleicht auf eine gewisse Ähnlichkeit mit Dingen, die man in einer 14
    Episkopalkirche sehen konnte. Nicht zu viel Gold auf dem Logo. Irgendwie dezent.
    Die Leute, die in der Autowaschanlage arbeiteten, waren größtenteils Einwanderer aus der Mongolei —Neuankömmlinge, die Schwierigkeiten hatten, bessere Jobs zu finden. Sie gaben diese verrückten kehligen Gesänge von sich, während sie arbeiteten, und er hörte ihnen gern zu. Er konnte nicht rauskriegen, wie sie das machten; es klang wie Laubfrösche, aber so, als ob es zwei Geräusche zugleich wären.
    Jetzt polierten sie die Reihen der verchromten
    Noppen an den Seiten; die sollten eigentlich
    Elektroschutzgitter tragen und waren nur der Optik wegen verchromt. Die Wagen der Bereitschaftspolizei in Knoxville hatte man auch unter Strom setzen können, aber sie hatten dieses Tropfsystem gehabt, das sie feucht hielt und das erheblich fieser war.
    »Unterschreiben Sie hier«, sagte der Boß der
    Truppe, ein ruhiger, junger Schwarzer namens
    Anderson. Er studierte tagsüber Medizin und sah immer so aus, als ob er seit zwei Nächten nicht mehr geschlafen hätte.
    Rydell nahm die Schreibunterlage und den Lichtstift und unterschrieb auf der Signaturplatte. Anderson gab Rydell die Schlüssel.
    »Sie sollten sich mal 'n bißchen Schlaf gönnen«, sagte Rydell. Anderson grinste matt. Rydell ging zu Gunhead hinüber und deaktivierte den Türalarm.
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    Jemand hatte das innen drangeschrieben, gunhead,
    mit grünem Marker auf die Verkleidung über der
    Windschutzscheibe. Der Name blieb, aber hauptsächlich deshalb, weil er Sublett gefiel. Sublett war Texaner, ein Flüchtling aus einer abgedrehten Videosekte in einem Wohnwagen-Camp. Er sagte, seine Mutter sei drauf und dran gewesen, seinen Arsch der Kirche zu
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