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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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sagte jemand, »ob sie hinkommen kann, für ihre Aussage .« Der Arzt beugte sich zu mir herunter. »Geht’s wieder, Frau Sirny ?« »Mhm .« Er half mir auf. Ein Beamter hielt mir meinen Mantel hin. Sabina gab mir die Tasche. Die Journalisten traten beiseite und gaben einen Korridor zur Wohnungstür frei. Die ersten paar Schritte wankte ich ein bisschen, dann wurde ich schneller. Die Fahrt tat mir gut. Ich hatte das Fenster einen Spalt herunter gekurbelt und sog die kühle Luft ein. Niemand sprach. Die Häuser zogen an mir vorbei, schemenhaft nahm ich die Leute auf den Straßen wahr. Ich hätte gern mit ihnen getauscht. Der Wagen hielt vor der Rossauer Kaserne. Der Raum, in den sie mich brachten, war neuer und eine Spur freundlicher als die Wachstube beim Rennbahnweg. Es sah aus wie in einem Büro, zwei Männer saßen an den Schreibtischen, eine Topfpflanze stand im Eck. Schränke voll grauer Aktenordner an den Wänden, schwere Schubladen mit alphabetischen Vermerken. Der Parkettboden knarrte unter mir. »So«, sagte der Beamte und drückte die Aufnahmetaste eines Tonbandgeräts, »das wird jetzt ein bissel dauern. Wir brauchen alles. Von Anfang an. Lebenslauf, Familie, Verwandte, Umfeld, Freunde, Finanzen. Jedes Detail kann wichtig sein .« Ich erzählte. Dass ich Sirny heiße, weil ich mit achtzehn geheiratet hatte. Dass aus dieser Ehe die zwei älteren Töchter stammen. Sabina und Claudia. Dass Natascha ein Nachzügler war. Vom Koch, mit dem ich nur zusammengelebt hatte, bis sie sechs war. Dass sie deshalb Kampusch hieß, so wie ich früher. Ausbildung, finanzielle Verhältnisse? Eigentlich wollte ich Tischler werden, wie mein Vater. Aber das war damals noch nicht so mit Frauen in Männerberufen, in einem Arbeiterbezirk wie Meidling noch dazu. Lern was Gescheites, hat er gesagt und mir anstandslos die Modeschule bezahlt in der Speergasse, nach der Hauptschule. Seitdem hab ich genäht. Hab mir mein Geld immer selber verdient. Gepfuscht, in einer Boutique, Uniformen für AUA-Stewardessen, Kostüme für Stripperinnen, in einem Leder- und Pelzgeschäft. Ich hab bei Modeschauen mitgemacht, einmal sogar im Rathaus. Das Tonband lief lautlos vor sich hin. Wie ich schwanger geworden bin, war ich noch in der Schule. Ich hab’s niemandem gesagt, weil gleich nachdem ich’s erfahren hab, sind wir auf Schikurs gefahren. Im Zug hab ich der Lehrerin gesagt: Ich darf nicht Schi fahren, ich krieg ein Baby. Wissen das deine Eltern, hat sie gefragt. Ja sicher, hab ich gesagt. Nach dem Schikurs musste meine Mutter in die Schule, zur Anprobe von irgendeinem Kleid, das wir genäht haben. Sie ist in der Unterwäsche vor mir gestanden, da hab ich ihr gesagt: Mama, wenn dich die Lehrerin fragt, du weißt, dass ich schwanger bin. Ihr ist gleich der BH runtergefallen. Dem Vater hat sie’s Monate lang nicht gesagt. Das hat er uns immer übel genommen. Vor allem ihr. Das Kind hat er nicht sehen wollen, aber eine Wohnung hat er uns gekauft. Der Beamte klopfte mit dem Bleistift auf seine Schreibunterlage. Privat hat’s nie so richtig geklappt bei mir. Ich hab mir immer die falschen Männer ausgesucht. Gleich der erste ein Säufer, der mir mein Geld weggenommen und auch schon einmal zugeschlagen hat. Wie die Kinder krank waren, ist er in die Apotheke gegangen, um Medizin zu holen, und drei Tage nicht mehr heimgekommen. Zugsbegleiter war er, bei der Wagons Lits. Von Salzburg hat er mich dann angerufen. Alimente hat er nie gezahlt. Von was auch? Dann hat er sich eine gefunden, die auch gerne zu tief ins Glas schaute. Jetzt liegt er am Stammersdorfer Fried hof. Der Koch? Auch einer, der gern trinkt. Wir haben ein Lebensmittelgeschäft gehabt, mit Imbiss. Er ist draußen gesessen, beim Schnaps mit der Kundschaft. Ich hab bedient. Um fünf in der Früh die Semmeln geholt, von Süßenbrunn. Ich hab die Abrechnung gemacht. Aufgewischt. Von sechs bis elf in der Nacht bin ich im Geschäft gestanden. Er hat auch immer Geld zum Spielen gebraucht. Lotto. Fünftausend Schilling in der Woche, statt dass er die Krankenkassa einzahlt. Einmal hat er mich noch beim Heimfahren aufgehalten und wollte die Tageslosung. Ich hab ihm die Scheine hingeschmissen, aus dem Autofenster raus. Geblieben ist nur der Konkurs. »Versteht sich die Natascha gut mit dem Vater ?« »Ja. Am Wochenende waren sie noch in Ungarn. Da hat er ein Haus. Sie hat nichts erwähnt, wie sie zurück...« Die Stimme blieb mir weg. »Gibt es jemanden, der Ihnen verdächtig vorkommt? Der Ihnen
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