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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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standen. Und hinter ihnen noch zwei. Vier. Fünf. Das ganze Wohnzimmer war voll Menschen. Ein paar hatten Fotoapparate um den Hals. Wie Touristen. Ich kannte keinen davon. »Frau Sirny?« Ich sah durch ihn durch. »Sicherheitsbüro. Gruppe Fleischhacker .« Ich nickte. »Wir brauchen irgendwas von der Natascha. Für die Suchhunde. Am besten eine Bürste. Wegen der DNS.« Ich blieb sitzen. »Wissen Sie,...« Ich zündete mir eine Zigarette an. »... wir haben nur drei Tage, dann riechen die Suchhunde nichts mehr .« Ich stand auf, ging ins Bad und holte die Bürste. »Übrigens...« Ein anderer Mund bewegte sich. »Es gibt eine Zeugin. Eine Zwölfjährige. Die hat angeblich gesehen, wie ein Mädchen in einen weißen Lieferwagen gezerrt wurde .« Das hatte ich verstanden. Das war der erste Hinweis. An das klammerte ich mich. »Wo ist sie ?« »Unten, im Wachzimmer. Sie sollten da hingehen .«

*

    »Wie fühlen Sie sich ?« »Wo ist der Vater ?« »Was glauben Sie, was passiert ist ?« »Haben S’ ein Foto von der Natascha ?« »Sagen Sie doch was !« Jemand hielt mir ein Mikrofon unters Kinn. Kameras verfolgten mich. Der ORF war da. Blitzlicht blendete mich. Ich lief wie durch einen Hagel. Durch die Siedlung, Richtung Wachzimmer.
    Ein anderer Polizist hatte Dienst. Gott sei Dank, nicht der Bullige von gestern, dachte ich. »Wir sind gerade bei der Zeugeneinvernahme«, sagte er auch nicht viel freundlicher und schob mir einen Sessel zu, »nehmen S’ da drinnen Platz«. Er schob mich einen Raum weiter. Wieder so ein Zeitloch. Ich hörte, wie draußen geredet wurde. Eine Kinderstimme. Aber ich verstand nur Bruchstücke. »Kann ich kurz... « , sagte ich und stand schon auf. Es war nicht als Frage gemeint, ich wollte da hinaus und mit der Kleinen reden. Sie wusste, was passiert war. Sie hatte Natascha als Letzte gesehen. »Sie bleiben da sitzen«, sagte der Beamte. Der Ton war wie ein Schlag in die Kniekehlen. Und ich gehorchte. Saß da mit der Handtasche auf dem Schoß, während nebenan eine Spur zu Natascha führte. Die einzige, die ich hatte. Eine andere Tür ging auf. Ich fuhr herum und sah in ein Gesicht, das ich kannte. Es war Nataschas Lehrerin. »Gehen Sie gleich weiter«, sagte der Polizist, bevor wir noch Gelegenheit hatten, uns auch nur zu begrüßen. »Da hinaus.« Mit einer Kopfbewegung wies er ihr den Weg. »Sie ist mit der Mutter da .« Die Lehrerin nickte mir zu, sie zögerte, ihre Augen hatten etwas Entschuldigendes. Einen Moment sah es so aus, als wollte sie mir die Hand auf die Schulter legen. Aber so was tut man nicht in Gegenwart einer Uniform. Ich sah die Tür auf- und wieder zugehen. Ein kurzer Blick des Beamten nagelte mich am Sessel fest. Er tat, als wäre ich gar nicht da. Blätterte in einem Haufen Unterlagen, machte geschäftige Zeichen auf einzelne Seiten. Er amtshandelte. Kümmerte sich um etwas Wichtigeres als Muttergefühle. Ich rührte mich nicht mehr. Von draußen war nur ein Murmeln zu hören. Ich konnte nicht einmal die Stimmen unterscheiden. Ab und zu ein Wortfetzen des Mädchens. Es klang höher als die anderen, aber es sagte mir nichts. Wieder vergingen eine Million Jahre, wie schon so oft seit gestern. Jemand öffnete die Tür einen Spalt, ich sah eine Männerhand an der Klinke. »Na, dann nehmen wir’s halt auf«, sagte der Polizist. Alles an ihm war Gleichgültigkeit.

*

    Ich spürte nichts. Die Injektionsnadel bohrte sich in die Armbeuge, aber sie drang nicht zu mir durch. Der Arzt klebte mir einen Wattebausch auf den Einstich und drückte mir sanft den Unterarm nach oben. Ich blieb in dieser Stellung, das Mittel wirkte schnell. »Sie nimmt sonst nie Medikamente«, sagte Sabina, es klang eigenartig verzerrt. Und sehr weit weg. »Aber das braucht sie jetzt«, sagte der Arzt. »Sie hält das sonst nicht aus .« Sabina strich mir über den Kopf. »Jetzt wird’s dir gleich besser gehen, Mama .« Sie irrte sich. Eine Welle aus Samt rollte in mir nach oben, aber das machte nichts besser. Ich schloss die Augen. Sofort lief ein Film auf meinen Lidern ab. Eine Hand griff nach Natascha. Ich riss die Augen wieder auf. Ich war von Menschen umringt. Alle starrten mich an. Wollten hineinschauen in mich. Und sahen nicht, was jetzt wirklich wichtig war. Die zwölfjährige Zeugin, die einen Irren beobachtet hatte. Den, der Natascha jetzt in seiner Gewalt hat. Warum sollte das Mädchen so was erfinden? Dem muss man nachgehen. Begreift das denn keiner? »Das Sicherheitsbüro hat angerufen«,
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