Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
Vom Netzwerk:
nickten nur. Sie war schneller gekommen. Ich war froh, zumindest eine Tochter hier zu haben. Mit Claudia war nicht zu rechnen gewesen nach der Meniskusoperation. Sie konnte keinen Schritt aus der Wohnung machen mit ihrer Schiene und saß jetzt neben dem Telefon. Die Familie hält zusammen, wenn was ist. Ich machte die Wohnungstür auf. »Weiß man schon was ?« Jetzt war der Koch auch nervös. Ich hatte ihn erst vor einer halben Stunde erreicht, aber ihm brauchte ich nicht zu erklären, dass die Sache ernst war. Man kann sagen über ihn, was man will, aber er liebt sein Kind. »Nichts wissen wir, gar nichts .« »Was sagt die Polizei ?« »Nichts sagt die, gar nichts .« »Die glauben, dass sie sich einen schönen Tag gemacht hat«, sagte Jürgen. Auf einmal redeten alle durcheinander. Vielleicht liegt sie irgendwo, verletzt. Vielleicht im Spital und keiner weiß, wie sie heißt. Vielleicht irrt sie irgendwo herum. Hat sich den Kopf angestoßen und weiß selber nicht mehr, wie sie heißt. Vielleicht Auf einmal waren alle still. Dieses eine Vielleicht schnürte uns die Kehle zu. Ich ging in die Küche und machte Kaffee. Ich räumte die Tassen aus dem Schrank, stellte sie auf ein Tablett, trug sie die paar Meter um die Ecke zum Couchtisch. Ich hatte die Löffel vergessen. Der Kaffee röchelte. Ich schenkte ein. Alles ganz normal. Alles wie immer. Nichts wie sonst. Es war fast neun, als es wieder an der Tür läutete. Zwei Männer in Lederjacken. »Kriminalpolizei«, sagte einer und hielt mir sein Abzeichen hin. In dem Augenblick zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Die Männer bewegten den Mund, aber ich hörte sie nicht. Ich wich vor ihnen zurück, sie gingen ins Wohnzimmer. Sie setzten sich. Die anderen rückten zusammen. Fragten. »... Ermittlungen...« Redeten. »... Abgängigkeitsanzeige...« Eine Katze sprang auf den Schoß eines Beamten. Er fragte mich etwas. »... familiäre Verhältnisse... «
    Ich verstand nicht. Das Sprechen war sehr weit weg. »... Natascha...« Ihr Name hallte in mir nach. Der andere Beamte drehte sich zu mir. Seine Augen ließen mich nicht los. »Wissen Sie was, Frau Sirny. Sie geben mir jetzt einmal den Kellerschlüssel .«

2

    Ich kam mir vor wie eine Verbrecherin. Ich saß nicht mehr auf meiner Couch, sondern auf einer Anklagebank. Verdächtig, mein Kind im Keller versteckt zu haben. Natascha wurde seit vierzehn Stunden vermisst, und zwei fremde Männer saßen in meinem Wohnzimmer und verfolgten jede meiner Gesten. »Frau Sirny«, sagte der eine noch einmal. »Den Kellerschlüssel.« Ich rührte mich nicht. Blieb sitzen, wie in Trance. Die anderen waren zwar noch da, aber ich wusste nicht mehr so genau, warum. Jeder hatte einen Körper, nur waren allen die Gesichter abhanden gekommen. Jürgen stand auf. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. Aber es nützte nichts. Ich war ganz allein auf dieser Welt. »Hier«, sagte Jürgen und hielt dem Polizisten den Schlüssel hin. »Ich führ Sie hinunter«, hörte ich mich sagen. Es war wie zwei Welten. In der einen gab es nur mich und meine Angst. Die andere war wie hinter Glas. Trotzdem bewegte ich mich dort, fuhr mit den Kripobeamten in den Keller, sperrte die Tür auf, gab ihnen den Weg frei. Man konnte kaum einen Schritt in den winzigen Raum machen. Was sich so ansammelt über vierundzwanzig Jahre. Ein alter Herd interessierte sie besonders. »Schauen Sie nur«, sagte ich, »schauen Sie .« Er machte das Backrohr auf. Sie drehten jeden Gegenstand um, öffneten Laden, lugten unter Packpapier, warfen alles durcheinander. »Räumt ihr das auch wieder zusammen ?« »Ja«, sagte einer. »Gehen wir .« In der Wohnung war es laut. Der Koch hing am Telefon und erzählte Gott und der Welt, dass unsere Tochter verschwunden war. Seine Hektik stieß mich wieder unter meinen Glassturz. Ich setzte mich auf die Couch und schaute nach innen. »So, können wir jetzt aufhören mit dem Telefonieren, Herr Koch ?« , mahnte der Größere der beiden. Die Stimme des Dünneren war noch unangenehmer: »Jetzt werden wir einmal genauer reden .« Eine Frage nach der anderen prasselte auf mich ein. Eine intimer als die nächste. Wie lange sind Sie schon getrennt? Wie ist Ihr Verhältnis heute zueinander? Sind Sie liiert? Haben Sie Affären? Bei wem lebt das Kind? Wie oft sieht es der Vater? Was ist mit dem Freundeskreis der Tochter? Wie ist sie in der Schule? Leidet sie unter der Trennung? Wie schaut’s finanziell aus? Irgendwann dürfte einer meinen Blick
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher