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Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Geistern von Janekpolana trafen und ihnen wispernd von den alten und neuen Tragödien erzählten.

Fünf Monate später
    The Ritz London, Burlington Room
    Eigentlich war ich pünktlich, was in diesem Fall hieß: zu spät. Die junge Dame am Empfang ließ sich meine Legitimation vorlegen und gab mir meine Nummernkarte sowie den Katalog, doch der Raum war schon so voll, dass ich mich nur noch hinter die letzte Stuhlreihe zu einem Dutzend weiterer Auktionsteilnehmer stellen konnte. Marie-Luise befand sich noch in den Waschräumen. Wir hatten den ersten Billigflieger ab Schönefeld genommen und würden am Abend in den letzten zurück steigen. Ich trug Anzug, Seidenkrawatte und eine Aktentasche. Marie-Luise Lederjacke und Bikerboots – Ersatz für ihre verlorenen Cowboystiefel, denen sie immer noch nachweinte. Man hatte uns im Eingangsfoyer direkt neben dem opulenten Weihnachtsbaum abgefangen und dezent darauf hingewiesen, dass dieser Aufzug hier nicht erwünscht war. Während Touristen und Gäste hereinströmten, um im Stundentakt am legendären Christmas Tea teilzunehmen, hatte ich mich bereits auf den Weg in den Konferenzraum gemacht, in dem die spektakulärste Auktion der letzten Jahrzehnte stattfinden sollte.
    Ein paar Fotografen trieben sich vorne in der komplett reservierten ersten Reihe herum, wurden aber kurz vor dem Eintreffen der Gäste vertrieben. Ich versuchte ein bekanntes Gesicht zu entdecken. Ich war mir zu hundertzehn Prozent sicher, dass wir nicht die einzigen deutschen Bieter waren. Ich hörte Englisch, Französisch, Arabisch, Spanisch, Japanisch, wahrscheinlich auch Chinesisch, so genau konnte ich das nicht auseinanderhalten. Der Raum war groß, mit ausladenden Lüstern, verspieltem Stuck und dezenten Seidentapeten ausgestattet. Ich schätzte, dass siebzig bis achtzig Personen einen Sitzplatz ergattert hatten und weitere zwanzig, so wie ich, stehen mussten.
    An einem Konferenztisch, der längs der Fensterfront aufgestellt war, nahmen die Vertreter des Auktionshauses Platz, die mit Bietern aus aller Welt telefonisch Kontakt hielten. Sie setzten sich Kopfhörer auf und warteten wie ich darauf, dass es losging.
    Endlich betrat der Auktionator das Podium. Er war ein schlanker Mann mit hellbraunen, im Stil der vierziger Jahre zurückgekämmten Haaren, dunklem Anzug und schmaler Hornbrille. Im Raum wurde es still. Der dicke Teppichboden schluckte alle Geräusche. In letzter Sekunde drängelte sich Das Fräulein zu mir durch. Ich hatte ihr versprochen, sie anschließend zum High Tea einzuladen, und ihr geraten, für diesen Fall ihre Garderobe noch einmal zu überdenken. Glücklicherweise hatte sie es getan und Mutters Kleid eingepackt, das sie nun, leicht zerknittert, zu ihren Boots trug. Aber man hatte sie passieren lassen, das allein zählte.
    »Und?«, flüsterte sie.
    Auf der Leinwand erschien ein Bild von sechs Flaschen 1961er Ch â teau Latour, Mai-Abfüllung, hervorragender Keller, agreabler Füllstand, 97 von 100 Punkten – so rasselte der Auktionator die Eckdaten herunter. Es begann ein zaghaftes Bieten bei fünftausend Pfund, das bei knapp siebzehntausend endete. Die Kiste ging an einen Mann mit dunklen Haaren und römischen Zügen, der keine Miene verzog.
    Es folgte eine halbe Kiste Echezeaux 1989er C ô te de nuits Grand Cru aus Burgund, ein ähnliches Lot war bei Christie’s angeblich für achtzehntausend Euro versteigert worden. Ein Bieter aus Japan machte ein Schnäppchen und bekam es zweitausend Euro günstiger.
    So arbeiteten wir uns Seite um Seite durch den Katalog. Nach zwei Stunden näherten wir uns endlich dem ersten Höhepunkt: Zwei Flaschen 1784er Ch â teau Yquem. Churchill wurde zitiert: »Bedenken Sie, als dieser Wein geerntet wurde, war Marie Antoinette noch am Leben!« Und: »Diese Flasche hätte von Mozart getrunken werden können!«
    Die Echtheit der sogenannten Jefferson-Bottles war mittels Radiokarbonuntersuchung bestätigt worden. Bei einer Verkostung des gleichen Jahrgangs im Hause des legendären Harry Rodenstock wurde diesem Wein ein »genussvolles Labyrinth von Düften« bescheinigt: Kräuterlikör, Kandiszucker, Rosinen. Wenig später wurde ein 1814er aufgerufen – aus jenem Jahr, in dem Bayern die Hexenverbrennung verbot und Napoleon abdankte: Orange, Grand Marnier, Kokos und Mandel. Ich fing an, das alles interessant zu finden. Diese Weine mussten wie Wurmlöcher der Geschichte sein. Eine Zeitreise, ein sinnlicher Kontakt zur Vergangenheit.
    Dann ging ein Raunen
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