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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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Adenauer ihn 1956 zum Verteidigungsminister machte, war er 41, also nur wenige Jahre älter als Guttenberg jetzt. Strauß hat in diesem jugendlichen Alter schwere Fehler gemacht. Die hätte er vielleicht zehn Jahre später nicht mehr gemacht. Er war voller Tatendrang, und die Armee sollte so schnell wie möglich aufgebaut werden, das hatten der Alte und die Alliierten verlangt. Andererseits gab es in der Weltgeschichte noch viel jüngere Leute als Guttenberg, und wir bewundern sie heute noch. Ich denke an den britischen Premierminister William Pitt den Jüngeren oder an Alexander den Großen. Wenn der Mann sich in diesem schweren Amt bewährt, wird er zur ersten Garnitur des Führungspersonals der Bundesrepublik gehören.
    Wie lange dauert es, bis man so ein Ministerium beherrscht?
    Maximal ein halbes Jahr.
    Kann man denn Finanzminister werden, ohne Volkswirtschaft studiert zu haben?
    Ja, das kann man. Es ist aber schwierig. Ein Beweis dafür, dass man so etwas kann, ist Deng Xiaoping. Er hatte einen fabelhaften Instinkt für das, was möglich ist.
    Herr Schäuble kann die Aufgabe also auch bewältigen?
    O ja.
    Die Leute wundern sich, wie das geht: heute Innenminister, morgen Finanzminister …
    Das kann gehen. Was sich bei Schäuble positiv auswirken wird, ist die natürliche schwäbische Sparneigung. Er wird nicht so leicht Geld ausgeben, wenn es nicht sein muss.
    Die neue Regierung weckt offenbar wenig Ängste. Woran liegt das? Ist das vielleicht ein Indiz dafür, dass die deutsche Politik längst sozialdemokratisiert ist?
    Richtig, es geht den Deutschen ja auch gut. Auf der ganzen Welt gibt es nur wenige vergleichbare Staaten: die Schweiz, die skandinavischen Staaten, und dann kommen schon wir. Ich will daran erinnern, dass bei uns 21 Millionen Menschen, 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, von staatlichen Renten und Pensionen leben. Dazu kommen sechs Millionen, die Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe bekommen, das sind noch mal acht Prozent. Ein Drittel der Menschen, die hier leben, ist also von Staats wegen versorgt. Das ist eine unglaubliche Leistung, die auch stolz machen kann.
    Sie haben sich immer geärgert, wenn man Ihnen vorgehalten hat, der richtige Kanzler in der falschen Partei zu sein. Zu mir haben Sie einmal gesagt: »Unterschätzen Sie nicht, was es mir bedeutet, Sozialdemokrat zu sein.« Es muss Ihnen doch wehtun, dass die SPD so katastrophal schlecht abgeschnitten hat!
    Ja, sicher. Die Frage ist aber nicht, wie sehr es schmerzt, sondern wie es zu diesem Absturz kommen konnte.
    Und was ist Ihre Erklärung?
    Da ist der Umstand, dass wir alle paar Jahre die Vorsitzenden gewechselt haben, dass einige Länderfürsten oder Möchtegern-Länderfürsten eine Politik gegen die Spitze der Partei gemacht haben. Da ist die Tatsache, dass die im Prinzip richtige Agenda 2010 von Gerhard Schröder ohne ausreichende öffentliche Diskussion ins Werk gesetzt worden ist. Außerdem hat die Regierung damals eine Reihe handwerklicher Fehler gemacht, die die jetzige Regierung korrigieren will. Es ist leider so.
    Haben denn Herr Gabriel und Frau Nahles schon um einen Termin bei Ihnen gebeten?
    Nein, das brauchen sie auch nicht.
    Würden Sie die beiden Herrschaften denn empfangen?
    Natürlich, aber was würde ihnen die Unterhaltung mit einem alten Mann nützen?
    Jetzt stapeln Sie aber wirklich zu tief. Morgen kommt zum Beispiel der Bundespräsident zu Ihnen zum Mittagessen.
    Ja, aber aus rein privaten Gründen.
    Noch mehr Aufregung als um die neue Regierung gab es um die Äußerungen von Thilo Sarrazin über Migranten in Berlin. Sogar Sie haben das in einer unserer Redaktionskonferenzen thematisiert.
    Ich habe mir Sarrazins Interview in der Zeitschrift Lettre International angesehen. Es ist ein sehr langes Gespräch zwischen einem Interviewer, der zurückhaltend fragt, und Sarrazin, der aus seiner großen Erfahrung heraus zum Beispiel die ökonomische Lage Berlins und Deutschlands analysiert. Die Passagen, die sich auf Ausländer bezogen und die von der deutschen Presse herausgezupft worden sind, sehen im Gesamtzusammenhang dieses Interviews ziemlich anders aus. Wenn er sich ein bisschen tischfeiner ausgedrückt hätte, hätte ich ihm in weiten Teilen seines Interviews zustimmen können.
    Wenn Sarrazin sagt, osteuropäische Juden hätten einen um 15 Prozent höheren Intelligenzquotienten als der Rest der Bevölkerung, wenn er sagt, dass Türken »Kopftuchmädchen produzieren« – das ist doch nicht tischunfein, das ist
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