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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl
Autoren: dtv
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liebevollen Herzens erkennen. Er hatte einen guten Verstand, den seine Bildung mit solidem Wissen versehen hatte. Doch war er weder seinen Fähigkeiten noch seinen Neigungen nach geeignet, den Wünschen seiner Mutter und seiner Schwester zu entsprechen, die ihn zu gern – sie wußten kaum, als was – mit Rang und Namen sehen wollten. Sie wünschten, daß er auf irgendeine Weise eine glänzende Rolle in der Welt spielen sollte. Seine Mutter wünschte ihn an Politik zu interessieren, ihn ins Parlament zu bringen oder ihn mit einigen der bedeutenden Männer der Gegenwart in Verbindung zu sehen. Mrs.   John Dashwood wünschte dies ebenfalls; doch in der Zwischenzeit, bis eine dieser höheren Segnungen erreicht werden konnte, hätte es ihren Ehrgeiz besänftigt, ihn einen Landauer fahren zu sehen. Doch Edward hatte keinen Sinn für bedeutende Männer oder Landauer. All seine Wünsche waren auf häusliche Behaglichkeit und die Ruhe eines Privatlebens gerichtet. Glücklicherweise hatte er einen jüngeren Bruder, der vielversprechender war.
    Edward hatte sich schon mehrere Wochen im Hause aufgehalten, bevor er die Aufmerksamkeit Mrs.   Dashwoods stärker auf sich lenkte; denn sie war in dieser Zeit so von Kummer gebeugt, daß es sie achtlos gegenüber allem machte, was sie umgab. Sie sah nur, daß er ruhig und unaufdringlich war, und sie mochte ihn dafür. Er störte ihren unglücklichen Gemütszustand nicht durch eine ungelegene Unterhaltung. Doch durch eine Bemerkung, die Elinor eines Tages zufällig über den Unterschied zwischen ihm und seiner Schwester machte, wurde sie zum erstenmal angeregt, ihn weiter zu beobachten und zu prüfen. Das war ein Gegensatz, der ihn sehr eindringlich ihrer Mutter empfahl.
    »Das genügt«, erklärte sie; »zu sagen, daß er ganz anders als Fanny ist, genügt. Das schließt alles ein, was liebenswürdig ist. Ich mag ihn schon jetzt.«
    |20| »Du wirst ihn bestimmt gern haben«, sagte Elinor, »wenn du ihn noch besser kennenlernst.«
    »Ihn gern haben!« erwiderte die Mutter mit einem Lächeln. »Ich kenne kein Gefühl der Wertschätzung, das geringer ist als Liebe.«
    »Du könntest ihn achten.«
    »Ich habe noch nie Achtung und Liebe zu trennen gewußt.«
    Mrs.   Dashwood bemühte sich nun, mit ihm vertraut zu werden. Ihr Verhalten ihm gegenüber war gewinnend und nahm ihm seine Zurückhaltung. Sie erkannte sehr rasch alle seine Vorzüge; das Wissen um seine achtungsvolle Zuneigung zu Elinor unterstützte vielleicht ihre Einsicht; doch sie war sich seines Wertes wirklich sicher; und selbst seine stille Art, die all ihren festen Vorstellungen davon, wie die Huldigungen eines jungen Mannes aussehen sollten, widersprach, erschien ihr nun nicht mehr reizlos, als sie erkannte, daß er ein warmes Herz und ein liebevolles Wesen besaß.
    Kaum hatte sie in seinem Verhalten Elinor gegenüber Anzeichen von Liebe wahrgenommen, als sie die ernste Zuneigung der beiden zueinander auch schon als sicher betrachtete und ihre Heirat rasch herbeikommen sah.
    »In wenigen Monaten, meine liebe Marianne«, sagte sie, »wird Elinor aller Wahrscheinlichkeit nach verheiratet sein. Wir werden sie vermissen, aber
sie
wird glücklich sein.«
    »O Mama! Wie sollen wir ohne sie auskommen?«
    »Meine Liebe, es wird kaum eine Trennung sein. Wir werden nur ein paar Meilen voneinander entfernt leben und jeden Tag unseres Lebens zusammenkommen. Du wirst einen Bruder gewinnen – einen wahren, liebevollen Bruder. Ich habe die höchste Meinung der Welt von Edwards Herzen. Aber du siehst ernst aus, Marianne; bist du nicht einverstanden mit der Wahl deiner Schwester?«
    »Vielleicht«, sagte Marianne, »überrascht es mich doch ein wenig. Edward ist ganz reizend, und ich liebe ihn von Herzen. Und doch ist er nicht, wie ein junger Mann sein sollte – da fehlt etwas, seine Erscheinung ist nicht eindrucksvoll, sie |21| hat nichts von dem Charme, den ich bei dem Mann erwarten würde, der meine Schwester ernsthaft für sich einnehmen könnte. Seine Augen lassen all die Lebhaftigkeit, das Feuer vermissen, die zugleich Tugend und Intelligenz verkünden. Und zu alledem, Mama, fürchte ich, daß er keinen wirklichen Geschmack hat. Musik scheint ihn kaum zu fesseln, und obgleich er Elinors Zeichnungen sehr bewundert, ist es nicht die Bewunderung eines Menschen, der ihren Wert erkennen kann. Es ist offensichtlich, daß er, obgleich er ihr beim Malen häufig aufmerksam zusieht, tatsächlich nichts von der Sache versteht. Er bewundert
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