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Veritas

Titel: Veritas
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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werden lassen und mein Gewerbe als Bauer zunichtegemacht. Der Niedergang der Familie Spada und der daraus folgende Verfall der Villa an der Porta San Pancrazio, wo ich viele Jahre lang oftmals einträgliche Dienste versehen hatte, hatte unsere Lage über alle Maßen verschlechtert. Ach, und ungenügend waren die Bemühungen meiner Frau Cloridia, dem wirtschaftlichen Ruin vermöge ihrer Gevatterinnenkünste Einhalt zu gebieten, die sie seit Jahrzehnten mit achtbarem Erfolg und tatkräftiger Hilfe zweier Jungfräulein, unserer Töchter von dreiundzwanzig und neunzehn Jahren, ausübte. Durch die Hungersnot war nämlich auch die Anzahl der Wöchnerinnen ohne jeden Heller gestiegen, und diesen stand meine Gemahlin mit derselben aufopfernden Hingabe wie den Edeldamen bei.
    So wuchsen unsere Schulden, und schließlich hatten wir, um des bloßen Überlebens willen, den schmerzhaftesten Schritt nicht vermeiden können: Da wir die Geldverleiher bezahlen mussten, hatten wir unser Häuschen und das Landgut verkauft, das wir vor sechsundzwanzig Jahren mit den Spargroschen meines seligen Schwiegervaters erworben hatten. Wir fanden Zuflucht in der Stadt, eine Wohnstatt in einem Kellergeschoss, das wir zwar mit einer Familie aus Istrien teilen mussten, doch hatte es wenigstens den Vorteil, nicht allzu feucht zu sein und im Winter eine konstante Temperatur zu bewahren, die sogar dem strengsten Frost trotzte, da die Räume in Tuffstein gehauen waren.
    Wir aßen dunkles Brot und des Abends Suppe mit Brennnesseln und Kräutern. Und am Tag behalfen wir uns mit Eicheln und anderen Hülsenfrüchten, die wir überall auflasen und zu Mehl mahlten, um daraus eine Art Grütze zu kochen, der wir kleine Rübchen beigaben. Schuhe waren alsbald zum Luxus geworden und mussten auch im Winter Holzpantinen und Pantoffeln weichen, die wir daheim aus alten Lumpen und Schnüren aus Hanf zusammennähten.
    Arbeit hatte ich keine mehr gefunden, zumindest nichts, was diesen Namen verdiente. Meine geringe Körpergröße verwehrte mir viele Gelegenheiten, zum Beispiel mich als Auslader oder Lastenträger zu verdingen. So war ich schließlich so tief gesunken, das niedrigste und schmutzigste aller Gewerbe auszuüben, zu dem kein Römer sich je herabgelassen hätte, jedoch auch das einzige, bei dem ich im Vergleich zu Familienvätern von größerer Statur im Vorteil war: Schornsteinfeger.

    Damit bildete ich eine Ausnahme: Schornsteinfeger und Dachdecker kamen gewöhnlich aus den Alpentälern, vom Comer und vom Langensee, aus dem Camonica-Tal, dem Brembana-Tal und ebenso aus dem Piemont – überaus arme Gegenden, wo der Hunger die Familien sogar zwang, ihre sechs- und siebenjährigen Kinder zu bestimmten Jahreszeiten den Schornsteinfegern zu überlassen, welche sie unter Lebensgefahr die engsten Rauchabzüge reinigen ließen.
    Mit kindlichen Körpermaßen, doch mit der Kraft eines Erwachsenen ausgestattet, konnte ich wie niemand sonst meine Arbeit nach allen Regeln der Kunst ausüben: Ich schraubte mich geschickter durch die engen Schächte und kletterte gewandter die rußigen Rauchabzüge empor, ebenso kratzte ich fachmännischer, als ein Kind dies vermocht hätte, die schwarzen Wände der Abzugshaube und des Rauchfangs frei. Zudem bewahrte mein geringes Körpergewicht die Ziegel vor Schäden, wenn ich auf das Dach kletterte, um den Schornstein zu säubern oder instand zu setzen, gleichzeitig aber drohte mir weniger Gefahr zu fallen und am Boden zu zerschellen, wie es den blutjungen Kaminkehrern leider nur allzu oft widerfuhr.
    Zu guter Letzt war ich als ortsansässiger Schornsteinfeger das ganze Jahr über verfügbar, während meine Kollegen aus den Alpen erst Anfang November nach Rom herunterkamen.
    Um die Wahrheit zu sagen, war auch ich genötigt, mein lebhaftes Söhnchen mitzunehmen, niemals aber hätte ich ihn einen Schornstein hinaufklettern lassen; ich begnügte mich damit, ihn als Lehrjungen und Gehilfen zu beschäftigen, da dies ein Gewerbe ist, wo man mindestens zu zweit sein muss.
    Um die Kunden meiner Geschicklichkeit zu versichern, brüstete ich mich damit, eine lange Lehrzeit in den Bergen der Abruzzen absolviert zu haben (denn auch dort gab es, wie in den Alpen, eine große Tradition der Kaminkehrerkunst). Rechte Erfahrung besaß ich in Wahrheit jedoch nicht. Ich hatte die Anfangsgründe dieser Kunst einzig in der Villa Spada gelernt, bei jenen Gelegenheiten, wo man mich gerufen hatte, damit ich in Rauchabzüge hinaufstieg, um einen
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