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Vergiss mein nicht!

Vergiss mein nicht!

Titel: Vergiss mein nicht!
Autoren: Kasie West
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mir meinen Rucksack vom Boden der Beifahrerseite und steige aus. »Und das wäre ja eine Tragödie.«
    Er lacht. »Ich hab bloß trainiert. Ziemlich großes Spiel, das da ansteht.«
    »Tja, vielleicht solltest du lieber auf dem Platz trainieren, weit weg von allen Leuten. Deine Treffsicherheit lässt nämlich ein bisschen zu wünschen übrig.« Ich schultere meinen Rucksack und gehe.
    »Ich treffe nie daneben, Addie«, ruft er mir hinterher.
    Was sollte das nun wieder bedeuten? Dass er beim letzten Mal probiert hat, mir den Schädel zu zertrümmern? Und eben, hatte er es da auf meine Windschutzscheibe abgesehen? Was hatte ich ihm eigentlich getan?
    Auf dem halben Weg zum Klassenzimmer holt Laila mich völlig außer Atem ein. Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch und fasse es nicht, dass sie gerannt ist, um pünktlich zu kommen.
    Sie liefert mir eine Erklärung: »Heute kann ich mir Nachsitzen während der Mittagspause nicht leisten.«
    »Niemand mehr da zum Flirten?«
    »Stimmt sogar. Gregory hatte gestern seinen letzten Tag.« Ich verdrehe die Augen. »Wie nett, eine Person zur besten Freundin zu haben, die je nach Jungslage entscheidet, ob sie pfichtbewusst sein will oder unzuverlässig.«
    »Großartig, dass du die Meine-Eltern-haben-sich-geradescheiden-lassen-und-deswegen-darf-ich-biestig-sein-wieich-will-und-alle-müssen-Verständnis-haben-Einstellung so gut unter Kontrolle hast.«
    Ich lächle. »Tut mir leid, dass ich so biestig bin.«
    »Ja, mir auch. Könntest du daran noch arbeiten? Das ruiniert mein soziales Leben.« Sie hakt sich bei mir ein und legt ihren Kopf auf meine Schulter. »Es tut mir leid, dass dein Leben so beschissen ist.«
    »So beschissen ist es gar nicht. Ich war nur all die Jahre verwöhnt.«
    »Ich weiß, deine Eltern haben dir einen miesen Dienst erwiesen, indem sie dir so eine tolle Kindheit ermöglicht haben.«
    »Entschuldige.« Ich sage das, weil mir bewusst wird, wie egoistisch ich mich benehme. Lailas Elternhaus ist die Hölle und sie beschwert sich nie. Keiner wusste davon, dass ihr Vater wegen Drogenproblemen seinen Job verloren hat. Das gesamte Haushaltsgeld geht für seine Sucht drauf, während ihre Mutter die ganze Zeit schuftet, damit sie über die Runden kommen.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagt Laila: »Fang bloß nicht an mich zu bemitleiden. Du weißt, wie sehr ich das hasse.« Sie drückt meinen Arm und richtet sich dann auf. »Willst du am Freitag mit zu dieser Party? Ich verspreche auch, dir nicht von der Seite zu weichen.«
    Mein Gehirn versucht schnell eine Ausrede auszuspucken, irgendeine Ausrede, aber ich weiß bereits, dass mein Freitagabend ganz und gar nicht verplant ist und dass ich eine furchtbar schlechte Lügnerin bin. »Na klar. Klingt nach Spaß.«
    »Du bist die Königin des Sarkasmus, Süße, aber ich hol dich um neun ab, damit du mich nicht sitzen lässt.«
    Ich öffne die Tür zur Morgenmeditation. »Was würde ich ohne dich bloß tun?«
    »Wahrscheinlich dich verkriechen und vor lauter Langweile sterben.« Sie denkt kurz nach. »Nein, doch nicht, höchstwahrscheinlich hast du deinen Tod bereits in deinem Organizer eingetragen, in sechzig Jahren irgendwo zwischen Hausarbeit und Yoga.«
    »In sechzig Jahren will ich lieber keine Hausarbeit mehr haben.« Ich steige in meine Kabine. Der kleine Flachbildschirm an der Wand leuchtet bei meinem Eintritt auf und die Abkürzung ATF – Amt für Talentförderung – erscheint in fett gedruckten Buchstaben. Genug eigentlich, um mir das Lächeln aus dem Gesicht zu wischen, wenn da nicht noch die Sprecherin gewesen wäre, die als Nächstes erscheint.
    Meine Mutter.
    Sie entwickelt Programme für das ATF. Es kommt selten vor, dass sie morgens auf dem Bildschirm auftaucht. Es ist offensichtlich eine Aufzeichnung ihres lächelnden Gesichts, die abgespielt wird, und ich erfahre, dass sie ein neues Gedankenmodell einführen, das genau auf unsere jeweilige Talentoption abgestimmt ist. Sie macht nicht wirklich mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, aber ich kann sie in ihrer Stimme hören. Erwachsene legen oft Wert auf den Zusatz »Option«, wenn es um unsere Talente geht, so lange, bis wir unseren Abschluss gemacht und die Tests als offizielle Bewährungsprobe absolviert haben. Als wollten sie uns daran erinnern, dass wir noch nicht qualifiziert genug sind und sie immer noch brauchen, um unser volles Potential zu erreichen.
    »Lehnt euch also zurück, entspannt euch und erweitert euren Verstand«,
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