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Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht
Autoren: Karin Slaughter
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bemühte sich, ruhig und vernünftig zu klingen. » Was geht hier vor, Jenny? Warum reden wir nicht darüber? So schlimm kann es doch nicht sein.«
    Sie fuhr sich wieder über das Gesicht. » Doch, Sir«, sagte sie. » Ist es aber.«
    Ihre Stimme klang so kalt, dass Jeffrey eine Gänsehaut bekam. Er unterdrückte das Frösteln, als er seine Pistole aus dem Halfter gleiten ließ. Jeffrey hasste Waffen, denn als Cop bekam er einfach zu oft zu sehen, was für einen Schaden sie anrichteten. Er trug eine Waffe, weil er musste, nicht weil er wollte. In den zwanzig Jahren, die er bei der Polizei war, hatte Jeffrey sie höchstens ein halbes Dutzend Mal gezogen und auf einen Verdächtigen gerichtet. Und zweimal hatte er dabei auch gefeuert, doch niemals direkt auf jemanden gezielt.
    » Jenny«, versuchte er es nochmals mit autoritärer Stimme. » Sieh mich an.«
    Unverwandt starrte sie eine kleine Ewigkeit lang den Jungen an. Jeffrey blieb stumm, damit sie das Gefühl hatte, Herrin der Lage zu sein. Dann ließ sie langsam den Blick zu Jeffrey wandern und senkte ihn, bis sie die Neunmillimeter entdeckt hatte, die er seitlich am Körper hielt.
    Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen und versuchte offensichtlich, den Ernst der Bedrohung einzuschätzen. Es klang todernst, als sie sagte: » Erschießen Sie mich.«
    Er meinte, sich verhört zu haben. Er hatte etwas völlig anderes erwartet.
    Sie wiederholte: » Erschießen Sie mich jetzt, oder ich werde den da abknallen.« Jeffrey sah zu, wie sie die Füße bewegte, bis sie schulterbreit auseinanderstanden, und dann die freie Hand auch über den Pistolengriff legte. Ihre Haltung war die einer Person, die genau wusste, wie man eine Waffe hielt. Ihre Hände waren inzwischen ganz ruhig, und mit festem Blick sah sie dem Jungen in die Augen.
    Er wimmerte » Oh, Scheiße!«, und dann plätscherte es auf den Asphalt, weil er sich in die Hose pinkelte.
    Jeffrey hob seine Waffe, als das Mädchen feuerte, aber der Schuss ging hoch über den Kopf des Jungen hinaus und ließ kleine Stücke von der Überdachung und dem Plastikschild des Gebäudes absplittern.
    » Was soll das?«, zischte Jeffrey, der genau wusste, dass Jenny nur deswegen unverletzt am Boden lag, weil der Instinkt seinen Finger davon abgehalten hatte abzudrücken. Sie hatte genau die Mitte des i-Punkts von Skatie’s getroffen. Die wenigsten von Jeffreys Cops hätten in einer so angespannten Situation so präzise schießen können.
    » Das war eine Warnung«, sagte Jenny. Jeffrey hatte eigentlich gar nicht mit einer Antwort gerechnet. » Erschießen Sie mich«, wiederholte das Mädchen. » Erschießen Sie mich. Oder ich blase dem da das Hirn raus. Das schwöre ich bei Gott.« Sie leckte sich wieder die Lippen. » Kein Problem für mich. Ich kann nämlich mit dem Ding hier umgehen.« Sie machte eine ruckartige Bewegung mit der Pistole, um zu verdeutlichen, was sie meinte. » Sie wissen, dass ich’s tun werde.« Nochmals stellte sie sich breitbeinig hin, um den Rückstoß der Beretta abzufangen. Sie verschob die Mündung der Waffe ein wenig und zerschoss den Apostroph auf dem Schild. Wenn die Leute auf dem Parkplatz auseinanderstoben oder Schreckensschreie ausstießen, bekam Jeffrey davon nichts mit. Er sah nur den Rauch aus der Mündung ihrer Pistole.
    Als er wieder durchatmen konnte, sagte Jeffrey: » Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen einem Schild und einem Menschen.«
    Sie flüsterte nur, und er musste sich sehr anstrengen, um sie zu verstehen. » Er ist kein Mensch.«
    Aus dem Augenwinkel meinte Jeffrey eine Bewegung wahrzunehmen. Im selben Moment erkannte er Sara. Sie hatte ihre Rollschuhe ausgezogen, und ihre weißen Socken stachen gegen den schwarzen Asphalt ab.
    » Kleines?«, rief Sara mit vor Angst schriller Stimme. » Jenny?«, fügte sie hinzu.
    » Hauen Sie ab«, fuhr Jenny sie an, aber ihre Stimme klang jetzt bockig, eher wie die des Kindes, das sie noch war, und ganz und gar nicht wie die des Ungeheuers, als das sie sich noch ein paar Sekunden zuvor aufgeführt hatte. » Bitte.«
    » Es geht ihr gut«, sagte Sara. » Ich habe sie drinnen gefunden, es ist alles in Ordnung.«
    Die Waffe sank nach unten, aber dann gewann Jennys Entschlossenheit wieder die Oberhand, und sie hob die Beretta, bis sie damit direkt zwischen die Augen des Jungen zielte. Mit ihrer Entschlossenheit kehrte auch die Grabesstimme zurück, und sie sagte: » Sie lügen.«
    Mit einem Blick auf Sara stellte Jeffrey
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