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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet
Autoren: Thomas Enger
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und stemmt stöhnend hundertfünfunddreißig Kilo. Vor dem Spiegel hinter ihm steht ein kleiner, gedrungener Mann und folgt den Bewegungen der Stange mit seinen Händen.
    »Wir sind gleich so weit«, sagt Petter Holte, ohne seinen konzentrierten Blick zu heben.
    Dokken dreht sich um und schaut auf die Uhr an der Wand. Es ist bald 22.45 Uhr.
    »Es ist Freitag, Jungs. Freitagabend, und es ist bald elf. Habt ihr wirklich nichts Besseres vor?«
    Keiner der beiden antwortet ihr.
    »Komm schon«, sagt Per Ola Heggelund, der Mann, der mit verschränkten Armen vor der Bank steht. Grønningen ist dabei, die Stange nach oben zu drücken. Holte hebt vorsichtig mit an und hilft Grønningens zitternden Armen.
    »Einen noch«, sagt er. »Einen schaffst du noch.«
    Grønningen atmet tief durch, lässt die Stange auf seine Brust herab und presst sie mit all seiner Kraft wieder nach oben. Seine Muskeln vibrieren, Holte lässt ihn gewähren, Millimeter für Millimeter, bis Grønningen die Stange brüllend ins Stativ schiebt. Er schneidet eine Grimasse, spannt die Brustmuskeln an, kratzt sich seinen struppigen Bart und schüttelt sich eine Strähne der langen, dünnen Haare aus dem Gesicht.
    »Gut gemacht«, sagt Heggelund und nickt beeindruckt.
    Grønningen sieht zu ihm hinüber. »Gut? Das war scheiße, Mann, sonst schaffe ich viel mehr.«
    Heggelund sieht Holte nervös an, erntet aber nur einen säuerlichen Blick.
    Holte löst den Bauchriemen, während er sich selbst im Spiegel betrachtet. Der rasierte Schädel glänzt wie der Rest seines Körpers solariumbraun. Er zupft die schwarzen Handschuhe zurecht und studiert die Muskeln unter seinem eng sitzenden weißen Muskelshirt. Zufrieden spannt er sie an, begutachtet seinen Bizeps und justiert seine Better-Bodies-Shorts, ehe er zum Tresen geht, an dem Gunhild Dokken gelangweilt durch ein Magazin blättert. Ihre Haare hängen ihr in die Augen.
    »Hast du anschließend schon was vor?«, fragt Holte und bleibt vor ihr stehen. Seine Stimme ist weich und erwartungsvoll.
    »Ich will nach Hause«, antwortet sie, ohne den Kopf zu heben.
    Holte nickt langsam und mustert sie. »Hast du Lust auf Gesellschaft?«
    »Nein«, antwortet sie trocken.
    Holtes Nasenlöcher weiten sich. »Oder kriegst du Besuch von jemand anderem?«
    »Das geht dich nichts an.« Dokken schnaubt hörbar.
    Nach einem kurzen Zögern dreht Holte sich um und geht zu Grønningen, der ihm aufmunternd zunickt.
    »Es sind ja nur noch wir hier«, sagt Holte. »Ich kann gerne für dich abschließen, wenn du willst.«
    Dokken klappt das Magazin mit einer raschen Handbewegung zu. »Hättest du das nicht eher sagen können? Als von dem Abend noch irgendetwas übrig war …«
    »Schon, aber …« Ein Schatten huscht über Holtes Gesicht, als er den Kopf senkt.
    »Okay«, seufzt sie verärgert. »Du weißt ja, wo die Schlüssel liegen.«
    Sie geht zur Garderobe hinüber und nimmt sich eine dünne schwarze Jacke, steckt ihr Handy in die Tasche und hängt sie sich über die Schulter. »Powert euch aber nicht zu sehr aus.«
    »Wir können erst am Sonntag wieder trainieren.«
    »Wow«, sagt sie ironisch. »Einen Tag frei.«
    Holte lächelt kurz und blickt ihr nach, als sie nach draußen marschiert. Eine Glocke läutet, ehe die Tür mit Schwung ins Schloss fällt. Dann ist sie in der Nacht verschwunden.
    Holte schüttelt kaum sichtbar den Kopf, ehe er hinter den Tresen tritt, die Musik ausschaltet und die Metallica- CD And Justice For All aus dem Regal nimmt. Er wählt den achten Song »To Live Is To Die« und spult etwa bis zur Mitte des Liedes vor.
    »Wieder keinen Erfolg gehabt«, sagt Heggelund und grinst, als Holte zurückkommt.
    Holte sieht ihn wütend an, antwortet aber nicht. Stattdessen fragt er, wer jetzt an der Reihe ist.
    »Heggi«, antwortet Grønningen und sieht zu Heggelund hinüber.
    »Ja, richtig«, erwidert der, tritt an die Stange und nimmt auf beiden Seiten fünfzehn Kilo herunter. Dann setzt er sich hin und atmet ein paarmal tief durch, ehe er sich hinlegt und seine Lunge noch einmal mit Luft füllt. Hinter ihm ist Holte erneut in Position gegangen, während James Hetfields Stimme aus den Lautsprechern dröhnt: » When a man lies, he murders some part of the world .«
    Heggelund nimmt die Stange klirrend aus dem Stativ, lässt sie auf seinen Brustkorb hinab und stemmt sie wieder nach oben. Der erste Durchgang geht gut, er versucht, einen ruhigen Rhythmus zu finden, und auch die nächste Wiederholung klappt. Zwei
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