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Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Titel: Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Autoren: Henryk M. Broder
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haderten. Das reichte aber nicht, um ihnen durchgehen zu lassen, dass sie in den Spuren ihrer Eltern wandelten. Die Deutschen, schrieb Wolfgang Pohrt, führten sich auf wie »Bewährungshelfer«, die vor allem darauf achten, dass »ihre Opfer nicht rückfällig werden«. Eine bessere, genauere und trostlosere Beschreibung der deutschen Krankheit ist noch niemandem gelungen.
    Hinzu kam, dass die einzelnen linken Gruppen und »Massenorganisationen« sich bis aufs Blut bekämpften, gegenüber Israel aber eine feste Front bildeten. Israel war nicht nur der kleinste, es war auch der einzige gemeinsame Nenner ihrer Politik. Ein Mann wie Klaus Rainer Röhl, der Herausgeber der Zeitschrift »konkret«, war in der linken Szene höchst umstritten, seinem Satz, Israel sei ein »mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde« konnten aber alle zustimmen, die sich mit ihm nicht einmal auf die beste Whiskey-Sorte einigen konnten. Dabei – wir sind noch in den siebziger Jahren, acht Jahre nach dem Sechstage- und drei Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg – ging es nicht um die besetzten Gebiete, um Gaza, den Golan und die Westbank, es ging um Israel an sich, ein mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde, das man seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgeben müsse. So wie Deutschland »Wiedergutmachung« an den Juden geleistet hatte, so sollte es auch dafür sorgen, dass die Palästinenser entschädigt werden, denn sie waren ja die »Opfer der Opfer«. Der moralische Imperativ dieser Forderung bestimmt bis heute die deutsche Haltung zum Nahostkonflikt.
    Damals wie heute war es schwierig bis unmöglich, einen ehrlichen Antisemiten zu finden, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Eher zeigt sich ein Steuerhinterzieher selbst beim Finanzamt an, als dass ein ganz normaler Deutscher zugibt, ein Problem mit Juden zu haben. Solange sich der Antisemitismus auf Ausgrenzung und Diskriminierung beschränkte, war er eine halbwegs ehrenwerte Haltung, nicht nett, aber auch nicht letal. Nach Auschwitz wäre ein offenes Bekenntnis zum Antisemitismus eine retroaktive Beihilfe zum Massenmord. Es ist also erheblich komplizierter geworden, die Juden nicht zu mögen und diesem Gefühl einen zeitgemäßen Ausdruck zu verleihen – indem man zum Beispiel schreibt, Israel sei ein »mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde«.
    In diesem Satz stecken zwei Botschaften. Erstens: Die Israelis sind Landräuber und Schnorrer, eine Variante des antisemitischen Klassikers von den Juden als Blutsauger und Parasiten. Zweitens: Ein auf dieses Weise zustande gekommenes »künstliches Gebilde« hat keine Existenzberechtigung. Natürlich sagte Röhl nicht, so ein Land gehöre abgeschafft oder aufgelöst. Aber genau das ist der Subtext, der sich dem Leser erschließt. Weg mit diesem künstlichen Gebilde, das durch Raub und Schnorrerei entstanden ist!
    Als Röhl diese Zeilen schrieb, im Sommer 1973, war er selbst ein Schnorrer, der kofferweise Bargeld aus der DDR anschleppte, um ein künstliches Gebilde namens »konkret« am Leben zu erhalten. Aber anders als die Israelis tat er es für einen guten Zweck – um Sand ins Getriebe des Kapitalismus zu streuen und nebenbei seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Und so wie sich Dr. Jekyll bei Vollmond in Mr Hyde verwandelt, so mutierte der Hanseat Röhl immer wieder zu einem antisemitischen Jammerlappen, der sich beispielsweise über die gute körperliche Verfassung von Henry Kissinger wunderte, die es ihm erlaubte, die vielen Reisen »ohne eine Andeutung von Verschleiß oder Abnutzung« zu überstehen, was Röhl vor allem auf die »jahrtausendealte gesunde koschere Ernährung« zurückführte, speziell auf die mit »Knoblauch«, so Röhl in einem Artikel. Ein anderes Mal räsonierte er über »kalte Krieger« wie Gerhard Löwenthal und William S. Schlamm, weil sie politische Positionen vertraten, die Röhl für inakzeptabel hielt: »In Nordamerika, wo es viele Schlamms und Löwenthals gibt, kursiert unter Studenten der Satz, dass Hitler die europäischen Juden vertrieben habe, damit sie in den USA den Faschismus aufbauen helfen …«
    Nachdem die »Allgemeine Wochenzeitung der Juden« in einem ausgesprochen zurückhaltenden Beitrag Röhl vorgeworfen hatte, an »antisemitische Instinkte« zu appellieren, reagierte er wie ein Einbrecher, der sich über die schlechten Manieren des Hausbesitzers aufregt, weil dieser ihm die
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