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Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Titel: Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Autoren: Henryk M. Broder
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künstliches Gebilde«.
    Die »Zentralorgane«, in denen diese Überlegungen zur Lage im Nahen Osten erschienen sind, gibt es nicht mehr, sie modern im Abgrund der Geschichte. Aber die Inhalte der »Roten Fahne«, des »Roten Morgens«, der »Kommunistischen Volkszeitung«, des »Arbeiterkampfes« und anderer Sprachrohre des Anti-Imperialismus findet man heute in der FAZ und der taz, der SZ und der FR, dem »Stern« und der »Berliner Zeitung«. Etwas feiner formuliert, aber substanziell gleich. Im redaktionellen Teil, in den Leserbriefen und in den Foren der Online-Angebote. Was in den siebziger Jahren an den Rändern der Gesellschaft vor sich hin köchelte, macht sich heute im Mainstream breit.
    Alles, was man über den »menschenverachtenden Charakter des israelischen Unterdrückerstaates« wissen muss, fasste »Focus Online« in einem einzigen Satz zusammen: »Israel droht mit Selbstverteidigung.« Ja, so sind sie, die Zionisten: passiv-aggressiv und bis an die Zähne bewaffnet, während die Hamas im Gaza-Streifen nur »selbst gebaute« bzw. »selbst gebastelte« Raketen abfeuert, harmlos wie Silvesterkracher, wie uns immer wieder versichert wird, um die »Unverhältnismäßigkeit« der israelischen »Vergeltungsmaßnahmen« zu beschreiben.
    Mit Entebbe war es mit meinem »state of denial« schlagartig vorbei. Ich mutierte zu einem Streckenwärter, der die Gleise entlangläuft und einsammelt, was aus den vorbeifahrenden Zügen fällt. Ich las die vielen linken Organe und exzerpierte alles, was mit dem Konflikt im Nahen Osten zu tun hatte. Von einer bösartigen, einseitigen, tendenziösen Berichterstattung oder Kommentierung zu sprechen, wäre eine arge Untertreibung. Es war der reine Antisemitismus im Kostüm des Antizionismus; die Maskerade war ein wichtiger Teil der Vorstellung, denn nicht nur Gerhard Zwerenz war damals der Überzeugung, ein Linker könne von Natur aus kein Antisemit sein, basta!
    Die private Überzeugung von Zwerenz und seiner politischen Freunde war in der DDR Teil der Staatsräson. Da man mit dem Dritten Reich nichts zu tun und den »Hitler-Faschismus« mit Stumpf und Stiel »ausgerottet« hatte, war man auch gegen Antisemitismus vollkommen immun. Man hatte einfach »Juden« gegen »Zionisten« und »Weltjudentum« gegen »Zionismus« ausgetauscht – so wie Gysi und seine Freunde später den Firmennamen »SED« aufgaben und sich den Namen »Partei des demokratischen Sozialismus« zulegten.
    Sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR war Antisemitismus gleichbedeutend mit Rassismus und Ressentiment, roch nach SA, SS und Zyklon B. Antizionismus aber war eine saubere politische Haltung, man hatte nichts gegen Juden, denen so Schreckliches widerfahren war, man übte nur Kritik am Verhalten der Zionisten, den »Nazis unserer Tage«.
    Die Verlagerung der eigenen Vergangenheit auf Israel war ein durchaus kluges Manöver, auch wenn es nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Verdauungstrakt kam. Deutschland hatte einfach ein zu großes Stück Geschichte abgebissen, das nun buchstäblich quer im Magen lag und Schmerzen verursachte. Und so wie man gelegentlich deutschen Müll auf Deponien im benachbarten Ausland entsorgte, so wollte man auch den historischen Müll außer Landes bringen. Ihn nach Israel zu schaffen, hatte gleich zwei Vorteile: Erstens konnte man damit den »Judenknacks« (Dieter Kunzelmann) loswerden, der die Deutschen an ihrer »Wiedergutwerdung« (Eike Geisel) hinderte. Zweitens holte man damit vollkommen risikolos den Widerstand nach, den die eigenen Eltern nicht geleistet hatten. Man kämpfte gegen »israelische Faschisten«, die Palästina »araberfrei« machten, gegen einen »grausamen Feind«, der auch vor »Völkermord« nicht zurückschreckte. Aber es waren nicht die Wehrmacht, die Waffen-SS und die Sondereinheiten des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), die hinter der Front aufräumten, es waren »israelische Supermörder« und »zionistische Mordbanden«, die man daran hindern musste, ein anderes Volk, die Palästinenser, auszurotten.
    Damals wie heute kam die »Israelkritik« nicht ohne einen Rekurs auf das Dritte Reich aus. Mir waren der obsessive Charakter und die historische Dimension dieser Strategie nicht klar, ich fand sie nur seltsam. Ich ahnte, es ging nicht um Israelis, es ging um Deutsche, die Kinder von Adolf Eichmann, Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich.
    Das Einzige, was man ihnen zugutehalten konnte, war, dass sie tatsächlich mit der eigenen Geschichte
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