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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Val McDermid
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seines Plans. Was immer er vorhatte, es musste so aussehen, als halte er sich an die Regeln. Den Angestellten wollte er ein tadelloses Verhalten präsentieren. Find dich mit dem Mist ab und sei ein guter Junge, Jacko. Aber das war genauso Fassade wie alles andere.
    Vor Jahren hatte er sich die Fernsehsendung angeschaut, die seine Ex-Frau damals moderierte. Sie interviewte den Direktor eines Gefängnisses, in dem ein schrecklicher Aufstand ausgebrochen war. Die Gefangenen hatten drei Tage lang die volle Kontrolle über die Strafanstalt. Der Gefängnisdirektor wirkte abgespannt und niedergedrückt, und Vance konnte sich immer noch an sein Aussehen und seine Worte erinnern. »Welche Regeln man auch festlegt, sie finden eine Möglichkeit, sie zu umgehen.« Damals war Vance fasziniert gewesen und hatte überlegt, ob es für ihn und sein Team als Aufhänger für eine Sendung dienen könne. Aber jetzt erfasste er erst richtig, was es bedeutete.
    Natürlich waren die Wahlmöglichkeiten im Knast eingeschränkt, wenn es darum ging, Schwierigkeiten zu umgehen. Man war auf seine eigenen Fertigkeiten zurückgeworfen. Das gab Vance einen Vorsprung im Vergleich zu den meisten Mitgefangenen, denen nicht viel zur Verfügung stand, auf das sie zurückgreifen konnten. Aber die Eigenschaften, die ihn zum beliebtesten Moderator des britischen Fernsehens gemacht hatten, waren fürs Gefängnis sehr gut geeignet. Er war charismatisch, sah gut aus und hatte ein einnehmendes Wesen. Und weil er ein Weltklasse-Sportler gewesen war, bevor sein Unfall ihn schließlich zu seiner Karriere im Fernsehen führte, konnte er Anspruch darauf erheben, ein echter Mann zu sein. Dazu kam der George Cross Preis, der ihm verliehen worden war, weil er sein Leben riskiert hatte, um nach einer Massenkarambolage auf der nebligen Autobahn Kindern das Leben zu retten. Oder vielleicht sollte es ein Trost dafür sein, dass er bei dem Versuch, einen Fernfahrer aus seinem zerdrückten Fahrerhaus zu befreien, einen Arm verloren hatte. Wie auch immer, er glaubte jedenfalls nicht, dass es im Land einen zweiten Knacki gab, dem die höchste Auszeichnung für die heldenhafte Rettung von Mitmenschen verliehen worden war. Und all dies schlug für ihn auf der Plusseite zu Buche.
    Das Herzstück seines Plans war ein einfaches Element, nämlich mit den Menschen Freundschaft zu schließen, die die Macht hatten, seine Welt zu verändern. Mit den Anführern, die die Gefangenen dominierten, mit den Wärtern, die festlegen, wer Vergünstigungen bekommt, mit dem Psychologen, der bestimmen würde, wie er seine Haftstrafe absaß. Und dabei würde er die ganze Zeit ein wachsames Auge haben müssen auf die Schlüsselfigur, die er brauchen würde, um den Coup zu landen.
    Stein um Stein hatte er das Fundament für seine Flucht gelegt. Zum Beispiel der elektrische Rasierapparat. Absichtlich hatte er sich das Handgelenk verstaucht, damit er erklären konnte, es sei für einen Mann mit nur einem Arm unmöglich, sich anders zu rasieren. Dann war ihm das Gesetz zum Schutz der Menschenrechte entgegengekommen, das es ihm ermöglicht hatte, eine supermoderne Prothese zu bekommen. Weil das Geld, das er verdient hatte, bevor er als Serienmörder junger Mädchen entlarvt wurde, kein Ertrag aus kriminellen Aktivitäten war, konnten die Behörden es ihm nicht wegnehmen. Auf diese Weise bekam er einen künstlichen Arm allerbester Qualität, mit dem er Kontrolle über die Bewegung einzelner Finger hatte. Die synthetische Haut war so täuschend echt, dass Leute, die es nicht wussten, nicht glaubten, dass sie künstlich war. Wenn man nicht bewusst darauf achtete, bemerkte man es nicht. Man brauchte dafür schon ein sehr feines Auge.
    Es hatte einen Augenblick gegeben, in dem er glaubte, all seine Arbeit sei umsonst gewesen. Aber umsonst im positiven Sinn. Zur Überraschung der meisten Leute hatte das Berufungsgericht schließlich das Urteil gegen ihn aufgehoben. Einen herrlichen Moment lang hatte er geglaubt, er werde als freier Mann in die Welt hinausgehen. Aber diese Scheißcops hatten ihm eine neuerliche Mordanklage hingeknallt, bevor er die Anklagebank verlassen konnte. Und die blieb an ihm hängen, wie er befürchtet hatte. Das hieß also, zurück in die Zelle und von vorn beginnen.
    Geduldig zu sein und sich an den Plan zu halten war schwierig gewesen. Die Jahre waren langsam verstrichen, ohne dass sich viel tat. Aber er hatte schließlich auch früher schon allerhand durchgestanden. Die Erholung von
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