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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Julie Hastrup
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eine große Hilfe. Bleiben Sie bitte
noch hier und unterschreiben Sie Ihre Zeugenaussage, dann fahren wir Sie nach
Hause.«
    Sie lächelte schwach, und Michael erhob sich, um zurück in sein Büro
zu gehen. Er war schon in der Tür, als Agnes Dam ihn zurückrief.
    »Ja.«
    »Das belastet mich. Das belastet mich wirklich sehr«, sagte sie, und
Michael sah sie aufmerksam an.
    »Was belastet Sie? Sie müssen uns unbedingt alles erzählen.«
    »Mich belastet … ja, wo sollen wir denn jetzt unseren Spaziergang
machen, Trunte und ich? Der Wald war doch unser Revier, und jetzt ist er uns
für alle Zeit verleidet. Ich setze niemals mehr auch nur einen Fuß in diesen
Wald. Was sollen wir denn jetzt machen?« Ihre Stimme war vor Verzweiflung um
eine Oktave gestiegen.
    Michael sah sie einen Moment lang müde an, dann mobilisierte er
seine letzten Kräfte, murmelte irgendetwas Nettes und ging zurück in sein Büro. Statoil – here I come.
    —
    Das Polizeipräsidium von
Ringkøbing liegt nur einen Steinwurf vom Fjord entfernt und ist zu Anfang des
zwanzigsten Jahrhunderts erbaut worden. Es ist aus rotem Backstein und von Efeu
überwuchert und hat ein schönes Kupferdach mit einem kleinen Turm. Das Gebäude
ist schief, weil es so alt ist, die Büros sind klein und unpraktisch, doch
trotz mangelnder moderner Bequemlichkeiten fand Michael seinen Charme inspirierend.
Als Besonderheit liegt im ersten Stock ein eigenes Amtsgericht, das mit seinen
Zellen bis zu zehn Personen in Untersuchungshaft aufnehmen kann. Es war also
fast immer viel los.
    Michaels Büro lag im dritten Stock,
ganz hinten im Gebäude, und vom Fenster aus sah man auf einen kleinen Hof, der
zu dem Zellenbereich gehörte. Der Raum war mit ausrangierten Büromöbeln aus den
Siebzigerjahren eingerichtet, und obwohl er in regelmäßigen Abständen
versuchte, dem Büro mithilfe von Grünpflanzen einen Anstrich von Gemütlichkeit
zu geben, überlebten sie selten länger als ein paar Wochen. Das einzig Persönliche,
das sein Büro zierte und keine umsichtige Pflege verlangte, war ein farbenfrohes
Schulfoto seiner Tochter Amalie, die ihn mit ihrer Zahnlücke anlächelte. Das
Bild war neu, ein Geburtstagsgeschenk von Anette, Michaels Exfrau, und von
Amalie natürlich. Es war kaum ein Jahr her, dass sie sich getrennt hatten, und
obwohl ihre Scheidung zweifelsfrei zivilisierter ablief als bei anderen Paaren,
belastete ihn die Situation oft. Es hätte nicht so kommen sollen, aber er
musste zugeben, dass er und Anette sich auseinandergelebt hatten. Im Lauf der
Zeit waren die Abstände zwischen den vertrauten Gesprächen immer länger
geworden, und ihr Sexualleben war nach der Geburt der Tochter allmählich eingeschlafen,
sodass der Entschluss, sich scheiden zu lassen, bei ihnen beiden gereift war.
Anette war mit Amalie nach Skjern gezogen und Michael in dem kleinen Haus am
Rand von Ringkøbing geblieben. Die Tochter wohnte abwechselnd bei einem von ihnen,
neun Tage bei Anette und fünf bei Michael, und diese Regelung funktionierte
ausgezeichnet. Amalie schien zufrieden zu sein. Sie war sechs Jahre alt und
gerade in die Schule gekommen. Doch die Trennung von dem Mädchen war hart, fand
Michael, manchmal vermisste er sie fast physisch, und dann half es ein wenig,
sich das Foto anzusehen, auf dem sie so strahlend lächelte. Michael setzte sich
an den Schreibtisch, schaltete den Computer ein und ging die vorläufigen
Notizen zum Fall Anna Gudbergsen durch.
    Trotz seiner langjährigen Erfahrung hatte er selten einen Mord wie
diesen aufzuklären. Im Grunde genommen war es das erste Mal, dass er mit so
einem Fall zu tun hatte. Normalerweise beschäftigte er sich mit Diebstählen und
Drogendelikten, selten einmal mit einem Raubüberfall oder, wenn es denn um Mord
ging, mit einer Eifersuchtstat oder einer Familientragödie, wo ein Vater Frau
und Kinder getötet und anschließend Selbstmord begangen hatte. Fälle, bei denen
die Lösung auf der Hand lag und keine große Ermittlungsarbeit erforderlich war.
Michael passte das ganz gut, da ihm so viel Zeit für Familie und Freunde blieb
oder um Dart zu spielen und Motorrad zu fahren. Er wusste, dass einige seiner
Kollegen ihn für bequem hielten, doch er selbst meinte, in sich zu ruhen.
    Michael druckte das Vernehmungsprotokoll von Agnes Dam aus, als es
an der Tür klopfte und Teit Jørgensen hereingestürmt kam und einen Stapel Fotos
auf Michaels Schreibtisch warf.
    »Die sind gerade gekommen. Wie ist es mit der
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