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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Julie Hastrup
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mich gemacht, das kannst du mir glauben.«
    Thorkild Thøgersen sah Michael verlegen an, der nickte und sich mit
steifen Beinen erhob. Im Inneren verfluchte er seine schlechte Kondition.
    »Wurde der Mord aufgeklärt?«
    Thorkild Thøgersen schüttelte langsam den Kopf, hob die Hand zum
Gruß und verließ mit müden Schritten den Tatort.
    —
    Rebekka drückte das
Gaspedal durch, und der kleine Citroën schoss wie eine silberne Kugel über die
Autobahn Richtung Ringkøbing.
    Die Sonne stand hoch am Himmel, und
sie kramte in der offenen Tasche auf dem Beifahrersitz nach ihrer Sonnenbrille,
setzte sie auf und drehte an dem knisternden Radio, bis sie einen Sender mit
Popmusik gefunden hatte.
    Boyfriend, don’t you touch my boyfriend, he’s not
your boyfriend, he’s mine.
    Rebekka grölte den Text mit und spürte eine Mischung aus Aufgedrehtheit
und Angst. Sie war auf dem Weg nach Ringkøbing, in die Stadt, die sie versucht
hatte unter allen Umständen zu meiden. Die Provinzstadt mit den roten Häusern,
der Kirche und dem Fjord als Symbolen der Kleinstadtidylle, nur dass Rebekkas
Erfahrung alles andere als idyllisch war.
    Sie suchte einen anderen Sender, kramte in ihrer Jackentasche nach
einem Bonbon, das, als sie es endlich im Mund hatte, nach allem anderen, nur
nicht nach Bonbon schmeckte. Alles sah vermutlich so aus wie immer. Das Haus,
die Stadt, der Fjord mit seinem kabbeligen Wasser, der Fruerwald mit den
riesigen Bäumen, in dem sie als Kind so viele Stunden verbracht hatte. Es war
schwer zu begreifen, dass der Wald ihrer Kindheit jetzt die Kulisse für einen
brutalen Mord bildete.
    Rebekka sah ihre Eltern zweimal im Jahr. Weihnachten und im Sommer.
Sie trafen sich auf neutralem Boden, im Sommer im Ferienhaus der Schwester
ihres Vaters auf Bornholm und Weihnachten abwechselnd bei ihrer Tante
mütterlicherseits in Herning oder bei sich zu Hause in ihrer Wohnung im
Valbygårdsvej.
    Vor allem Weihnachten war eine Prüfung. Rebekka versuchte sich jedes
Jahr mit mehr oder weniger großem Glück darum herumzumogeln. Zur großen Freude
ihrer Kollegen bot sie sich regelmäßig als Erste an, am 24. Dienst zu tun, ein
Angebot, das diese dankbar annahmen, auch wenn es sie wunderte. Ihre Mutter
klang immer misstrauisch am Telefon, wenn Rebekka erzählte, dass ihr wieder
einmal der ungeliebte Weihnachtsdienst aufgedrückt worden war und sie deshalb
nicht mitfeiern konnte.
    »Ich verstehe nicht, dass ihr euch nicht abwechseln könnt. Das kann
doch nicht immer an dir hängen bleiben«, pflegte sie säuerlich zu sagen, und
Rebekka drückte ihr Bedauern aus und murmelte etwas davon, dass sie in der
Hierarchie an unterster Stelle stand. Manchmal konnte Rebekka den Dienst nicht
tauschen, weil sie Kollegen hatte, die sich genau wie sie vor der
weihnachtlichen Familienfeier drücken wollten. Dann verbrachte sie den
Weihnachtsabend mit ihren Eltern, dem Vater, der nervös war und zu vermitteln
versuchte, der Mutter, die Missbilligung und Reserviertheit ausstrahlte, und
Robins Abwesenheit wurde plötzlich so spürbar, als fehlte ihnen selbst ein Arm
oder Bein.
    Rebekka umfasste das Steuer fester und begegnete im Rückspiegel
ihrem Blick. Das war damals. Jetzt war heute.
    Sie suchte einen neuen Sender, bis sie etwas Beruhigendes,
Klassisches gefunden hatte, während ihre Gedanken zu der jungen Anna Gudbergsen
wanderten, und damit zu ihrem ersten Fall, den sie allein bearbeitete und bei
dem sie, Rebekka Holm, die Polizei vor Ort bei den Ermittlungen unterstützen
sollte. Das fühlte sich gut an, und sie ging methodisch die Aufgaben durch, die
sie erledigen wollte, sobald sie im Präsidium in Ringkøbing eintraf.
    —
    Michael fuhr sich müde
über die Augen. Er war zurück im Büro, und sein Körper dürstete nach Stimulanzien:
Kaffee, Kuchen, Süßigkeiten. Was auch immer, wenn es nur half, die Augen offen
zu halten und einen klaren Kopf zu bewahren. Auf dem Tisch stand eine Schale
mit gelben Äpfeln, ein erneuter Versuch der Verwaltung, die Mitarbeiter zu
gesünderen Essensgewohnheiten anzuhalten und damit die Ausfälle wegen Krankheit
zu reduzieren oder auf null herunterzufahren. Michael brummte mürrisch vor sich
hin und überlegte, ob er es noch vor der Vernehmung der älteren Frau, die Anna
Gudbergsens Leiche gefunden hatte, schaffte, zur Tankstelle hinüberzulaufen.
    Er hatte ohne Pause durchgearbeitet,
seit er aus dem Fruerwald zurückgekommen war. Sein Vorgesetzter hatte am Tatort
eine kurze Besprechung abgehalten und zu ihrer
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