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Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt

Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt

Titel: Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt
Autoren: Jörg Baberowski
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Entscheidungsmacht, der Macht Stalins, Herr über Leben und Tod zu sein. Nur in der Atmosphäre der Paranoia und des Mißtrauens konnte es dem Despoten gelingen, anderen seinen Willen aufzuzwingen und seine Welt zur Welt aller zu machen.
    Ich versuchte, mir vorzustellen, wie die Welt Stalins und seiner Gefährten beschaffen war, und je mehr ich las, desto klarer wurde mir, daß Ideen nicht töten. Gewalt ist ansteckend. Sie kann von niemandem, der sie erlebt, ignoriert werden, ganz gleich, mit welchen Motiven sich ein Mensch in eine Gewaltsituation begibt. Man kann die Gewalt nicht von ihrem Anfang her verstehen, sondern nur in ihrer Dynamik. Denn Gewalt verändert Menschen, sie stellt die Welt auf den Kopf und zerstört das Vertrauen, das man braucht, um mit anderen in einer Gesellschaft leben zu können. Aber sie ist auch das Lebenselixier der Skrupellosen, die sich ermächtigen, zu tun, was andere nur zu denken wagen. Man muß nur versuchen, die Welt mit den Augen Stalins zu sehen, und schon wird, was wir uns niemals zumuten würden, zur Normalität. Nur davon spricht dieses Buch.
    Warum schreibt man überhaupt ein Buch? Könnte man das Leben nicht auch auf andere Weise herausfordern? Jeder, der schreibt, weiß, daß am Ende nur wenige Menschen lesen werden, was man gern mitgeteilt hätte. Aber darauf kommt es gar nicht an. Wer schreibt, ist im Selbstgespräch und erfährt als Schreibender über sich mehr als über den Gegenstand, den er beschreibt. Mich hat die Gewalt bis in den Schlaf verfolgt, sie hat mir so sehr zugesetzt, daß ich mir an manchen Tagen wünschte, ich hätte an einem anderen Buch weiterschreiben dürfen. Und dennoch erfüllte mich das Schreiben über das Leben in der Gewalt auch mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit. Es gab kein Land, in dem die Klassengegensätze schlimmer, die Privilegien der herrschenden Kaste größer gewesen wären, kein Land, in dem Menschen in solcher Angst leben mußten wie in der Sowjetunion. Ich hingegen hatte niemals erleben müssen, was die Opfer erlitten hatten. «Die Lehre, die man aus dieser Art Erlebnis zieht», schrieb Arthur Koestler in seinen Erinnerungen, «erscheint, sobald man sie in Worte kleidet, immer im fahlen Gewand der ewigen Allgemeinplätze: daß der Mensch eine Realität ist und die Menschheit eine Abstraktion; daß man Menschen nicht als Zahlen in einer politischen Gleichung behandeln kann, weil sie sich wie die Zeichen für Null oder Unendlich verhalten, die alle mathematischen Berechnungen aus den Fugen bringen; daß der Zweck die Mittel nur innerhalb sehr enger Grenzen heiligt; daß die Ethik nicht nur eine Funktion sozialer Nützlichkeit ist und Nächstenliebe kein kleinbürgerliches Sentiment, sondern die Gravitationskraft, die jede Zivilisation zusammenhält.»[ 2 ] Und man könnte hinzufügen: daß es ein Glück ist, in einer Rechtsordnung zu leben, in der die Verschiedenen als Gleiche behandelt werden und die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen in Einklang gebracht wird. Wer auch nur für kurze Zeit in einer von Mißtrauen und Gewalt zerfressenen Gesellschaft gelebt hat, wird sofort begreifen, daß diese zivilisatorische Errungenschaft uns voreinander schützt. Wir sollten dafür dankbar sein, jeden Tag.
    Ohne die Hilfe von Freunden und Kollegen wäre ich an der Aufgabe, aus einem alten ein neues Buch zu machen, gescheitert. Ich danke Ulrich Herbert und Jörn Leonhard für die wundervolle Zeit, die ich im Frühjahr 2010 am «Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS)» verbringen durfte. Dort konnte ich über Gelesenes lange nachdenken und aufschreiben, was mir gefiel. Paul Gregory danke ich dafür, daß er mich 2008 zu einem zweiwöchigen Workshop an die Stanford University einlud und mir den Zugang zu den Archiven der Hoover Institution eröffnete. Von ihm kam auch die Anregung, ein neues Buch über den stalinistischen Terror zu schreiben. Paul las die erste Version des neuen Manuskripts und empfahl es für eine Übersetzung ins Englische. Shiva Baberowski, Adil Dalbai, Laura Elias, Sandra Grether, Laetitia Lenel und Felix Schnell lasen die letzte Fassung, machten Verbesserungsvorschläge und brachten mich auf Ideen, die mir selbst nicht eingefallen wären. Ohne ihre Hilfe hätte ich ein schlechteres Buch geschrieben. Anastasia Surkov half mir dabei, die Fußnoten und das Literaturverzeichnis in eine lesbare Ordnung zu bringen, Katharina Schmitten erstellte das Register und Benedikt Vogeler griff ein, wenn der Computer
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