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Verblendung

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Titel: Verblendung
Autoren: Stieg Larsson
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dieser Frage den Mund zu verziehen. Mikael tauschte einen Blick mit TV4. Wie fühlt sich das an? Das war nach der einhelligen Meinung aller seriöser Journalisten die Standardfrage, die bescheuerte Sportreporter hinter der Ziellinie atemlosen Sportlern stellten. Aber dann wurde er gleich wieder ernst.
    »Ich kann natürlich nur bedauern, dass das Gericht nicht zu einem anderen Urteil gekommen ist«, antwortete er förmlich.
    »Drei Monate Haft und 150 000 Kronen Schadenersatz sind eine empfindliche Strafe«, sagte die Journalistin von TV4.
    »Ich werd’s überleben.«
    »Werden Sie Wennerström um Entschuldigung bitten? Ihm die Hand geben?«
    »Nein, das glaube ich kaum. Meine Meinung zu Herrn Wennerströms Geschäftsmoral hat sich nicht nennenswert geändert.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Sie ihn immer noch für einen Schurken halten?«, fragte Dagens Industri schnell.
    Diese Frage legte eine Antwort nahe, die leicht in eine verheerende Schlagzeile münden konnte, und Mikael hätte nur zu leicht auf dieser Bananenschale ausrutschen können, wenn ihm der Reporter sein Mikrofon nicht gar so übereifrig vors Gesicht geschoben hätte. Er überlegte sich seine Antwort ein paar Sekunden.
    Das Gericht hatte gerade festgestellt, dass Mikael Blomkvist den Industriellen Hans-Erik Wennerström in seiner Ehre verletzt hatte. Mikael war wegen übler Nachrede verurteilt worden. Die Verhandlung war abgeschlossen, und er hatte auch nicht vor, Berufung einzulegen. Aber was würde passieren, wenn er seine Behauptungen unvorsichtigerweise schon auf der Treppe vor dem Gericht wiederholte? Er beschloss, die entsprechende Antwort zu umgehen.
    »Ich fand, dass ich gute Gründe hatte, meine Angaben zu veröffentlichen. Das Gericht hat das anders gesehen, und ich muss selbstverständlich akzeptieren, dass der Prozess der Rechtsfindung damit abgeschlossen ist. Jetzt werden wir in der Redaktion das Urteil gründlich diskutieren, bevor wir beschließen, wie wir weiter verfahren. Mehr kann ich dazu momentan nicht sagen.«
    »Aber Sie haben außer Acht gelassen, dass man als Journalist seine Behauptungen auch beweisen können muss«, sagte die Mitarbeiterin von TV4 mit einem scharfen Unterton in der Stimme. Dieser Bemerkung konnte er nichts entgegensetzen. Sie waren gute Freunde gewesen. Ihr Gesichtsausdruck war neutral, aber Mikael glaubte einen Hauch von Enttäuschung und Missbilligung in ihren Augen auszumachen.
    Mikael Blomkvist blieb stehen und beantwortete noch ein paar quälende Minuten lang weitere Fragen. Die Frage, die unausgesprochen in der Luft lag und die kein Reporter zu stellen wagte - vielleicht wegen der Peinlichkeit und Unverständlichkeit der gesamten Situation -, war die, wie Mikael nur einen Text hatte schreiben können, der jeder Substanz entbehrte. Die Reporter vor Ort, die Urlaubsvertretung von Dagens Industri mal ausgenommen, waren allesamt gestandene Journalisten. Die Antwort auf diese Frage lag für sie jenseits der Grenzen des Begreiflichen.
    Die Kollegin von TV4 bat ihn, sich vor die Tür des Amtsgerichts zu stellen, und interviewte ihn separat vor der Kamera. Sie war freundlicher, als er es verdient hatte, und er gab genügend brauchbare Statements ab, um alle Reporter zufriedenzustellen. Die Story würde in die Schlagzeilen kommen - das war unvermeidbar -, aber er rief sich in Erinnerung, dass es sich hier nicht wirklich um ein spektakuläres Medienereignis handelte. Die Reporter waren bald zufrieden und zogen sich in ihre Redaktionen zurück.
     
    Zunächst hatte er nur vorgehabt, spazieren zu gehen, aber es war ein windiger Dezembertag, und nach dem Interview war ihm schon kalt genug. Erst als er alleine auf der Treppe vorm Amtsgericht stand, hob er den Blick und sah William Borg aus einem Auto steigen, in dem er während des Interviews gesessen hatte. Borg lächelte, als ihre Blicke sich trafen.
    »Allein, um dich mit diesem Zettel in der Hand da stehen zu sehen, hätte sich das Herkommen schon gelohnt.«
    Mikael antwortete nicht. William Borg und Mikael Blomkvist kannten sich seit fünfzehn Jahren. Sie hatten früher gemeinsam als Vertretung für den Wirtschaftsteil einer Morgenzeitung gearbeitet. Vielleicht hätte man einfach sagen können, dass die Chemie zwischen den beiden nicht stimmte. Auf jeden Fall war damals der Grundstein zu einer lebenslangen Feindschaft gelegt worden. Borg war in Mikaels Augen ein erbärmlicher Reporter und ein unangenehmer, kleinlicher, rachsüchtiger Mensch, der seine Umwelt
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