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Vera Lichte 05 - Tod eines Heimkehrers

Vera Lichte 05 - Tod eines Heimkehrers

Titel: Vera Lichte 05 - Tod eines Heimkehrers
Autoren: Carmen Korn
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für zwölf Personen mit einem Mörderblick betrachtete.
    »Du willst mir nicht sagen, dass du an diesem Esszimmer hängst«, sagte Vera, »denk daran, wie Nelly dich hier gequält hat.«
    Annis Erinnerungen an Tisch und zwölf Stühle waren wirklich nicht die besten. Ganz abgesehen von den vielen Litern Politur, die der lange Tisch geschluckt hatte. Jahrzehnte her, dass dieses Zimmer genutzt worden war. Damals hatte Veras Mutter Nelly sie um den Tisch gescheucht. Häubchen und weiße Handschuhe hatte Anni beim Servieren tragen und »Gnädige Frau« sagen müssen.
    Vera ging zurück in den Flur, und ihr Blick fiel auf das korallenrote Sofa, das dort stand. Auch das eine Anschaffung von Gustav. Angeschafft für den trunkenen Heimkehrer langer Nächte, der es nicht ins Bett schaffte und gleich neben der Eingangstür niedersank. Gustav hatte oft auf dem Sofa geschlafen. Er zog es dem Ehebett mit Nelly drin vor.
    »Das Sofa bleibt«, sagte Anni. Sie setzte sich darauf und verschränkte die Arme. Kein Zweifel, dass sie mit hinausgetragen werden müsste.
    »Das Säufersofa gehört zu den zehn auserwählten Möbeln, die wir behalten werden«, sagte Vera und klang huldvoll.
    »Kommst mir vor wie Moses mit den Gesetzestafeln«, knurrte Anni, »gehöre ich auch zu den zehn Möbeln?«
    »Du teilst dir mit Nicholas den Platz des erstliebsten Menschen.«
    »Na, Gott sei Dank«, sagte Anni, »und wer ist auf Platz zwei und drei?«
    Vera überging diese Frage. Sie trat zu der alten französischen Pendeluhr. »Die bleibt auch«, sagte sie.
    Anni klopfte auf das Polster des Sofas. »Setz dich«, sagte sie, »und sag mir die ganze Wahrheit. Sonst gehe ich in die Küche und koche was fettes Klebriges und zwinge dich, es zu essen.«
    Wenn Vera in der Stimmung des großen Aufräumens war, dann wollte sie auch abnehmen. Dessen war sich Anni sicher.
    Vera ließ sich auf dem Sofa nieder und streckte ihre langen Beine aus.
    »An Gustavs Klavier rühre ich nicht«, sagte sie.
    »Da bin ich auch vor«, sagte Anni. »Lass mich raten, was ich noch retten kann vor deinem Amoklauf.« Sie wies auf die Wand gegenüber, dort, wo der antike Spiegel hing, der schon Altersflecken hatte. Kein anderer war so gnädig zu jedem, der hineinblickte.
    »Auf den kann ich nicht verzichten«, sagte Vera, »sonst verzweifele ich an der ganzen Älterwerderei und kriege obendrein eine Sinnkrise.«
    »In der scheinst du mir schon zu sein«, sagte Anni.
    Vera schüttelte den Kopf.
    »Ich lechze nur nach Veränderung! Nachher ist das Leben vorbei, und ich ärgere mich.«
    »War schon genug Veränderung«, sagte Anni, »du hast doch alle in die Wüste geschickt.« Sie seufzte und erhob sich ächzend.
    Im Dezember war sie zweiundsiebzig geworden. Kein Küken mehr. Eher ein altes Huhn. Das Knie ziepte. Die Hüfte. Anni hütete sich, das Thema anzuschneiden. Dann schickte Vera sie wieder auf die Chaiselongue, die vorne im Wohnzimmer stand, und Anni würde unter Kaschmirdecken liegen und sich langweilen.
    Wer wusste überhaupt, welches Schicksal die Chaiselongue erwartete? Nachher gab es gar nichts mehr zum Draufliegen. Nur diese japanischen Matten, von denen kein Mensch mehr hochkam.
    »Ich koch mal was«, sagte sie.
    Kochen half ihr immer. Was hatte sie schon an Sorgen in die Suppe gerührt. An dem Herd würde sich Vera wohl nicht vergreifen. Anni wollte keinen neuen. Das wäre eindeutig zu viel der Veränderung.
    Vera hatte keinen in die Wüste geschickt. Das war wirklich nicht wahr.
    Sie waren gegangen, weil ihr Leben etwas anderes mit ihnen vorhatte. Billie, der einmal als Hilfe für Anni in Veras Haushalt gekommen war, hatte Mary mit den Perlenzähnen geheiratet und einen afrikanischen Lebensmittelladen auf dem Lande aufgemacht. Billie aus Benin, der Huhn mit Püree aus Yamwurzeln zubereitete und niemals eine Buschratte, womit er gerne drohte.
    Vera und Anni hatten auf dem Balkon gestanden und ihn in das große Auto ihres Nachbarn Engelenburg steigen sehen, der Billie und seinen ganzen Hausstand nach Buxtehude fuhr. Da gab es noch keinen afrikanischen Lebensmittelladen. Nur Igel und Hasen.
    Die Cousine von Mary gab nun gelegentliche Gastauftritte beim Putzen. Alles, was sie mit Mary gemeinsam hatte, war eine Haut wie Ebenholz. Doch anders als bei Mary und Billie perlten weder die Zähne, noch perlten die Worte aus ihrem Mund. Beauty huschte durch die Zimmer und sprach kaum je einen Satz.
    Nicht, dass es zu still geworden wäre in der großen Jugendstilwohnung. Der
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