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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach
Autoren: P Besson
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Zeit, um ihr die Geschichte zuerzählen, ich beabsichtigte nicht, ihre Einwilligung zu erbitten, nichts wäre geeignet, die Heftigkeit des Schlages zu mildern, wozu also reden? Höchstens um ihr Adieu zu sagen. Das war nicht meine Art.
     
    Ich habe darauf gewartet, dass die Einheit sich in Bewegung setzt, habe den Aufmarsch der Männer im Hof gesehen, das hektische Ballett der Uniformen, McGill hat mir einen Blick zugeworfen, er war sich sicher, dass ich hinter meinem Fenster stand, die mit Blaulicht versehenen Fahrzeuge haben die Sirenen in voller Lautstärke eingeschaltet, die Schar ist losgejagt, der Lärm hat sich entfernt, er wurde rasch zu einem dumpfen Grollen in der gefährlichen Stadt. Ich verließ diesen Ort und machte mich auf den Weg nach Venice Beach.
     
    Unterwegs habe ich die Hügel von Bel Air gesehen, ich dachte an die alterslosen Frauen, die dort wahrscheinlich am Rand der Swimmingpools oder hinter den weißen Holzzäunen in der Sonne badeten, und die Sorglosigkeit der Reichen hat mich befremdet. Ich betrachtete die Palmen, die Zypressen, die Orangenbäume, und die Gleichgültigkeit der Natur angesichts der Torheit der Menschen erfüllte mich mit Neid. Zweifellos würde ich alles verlieren, was ich besaß. Ich trat aufs Gaspedal.
     
    Ich habe nicht die Bilder der letzten Wochen an mir vorbeiziehen sehen. Nicht jene Visionen gehabt, die uns, wie es scheint, überfallen, wenn der Tod naht. Nein, ich habe nicht den Film im Zeitraffer vor mir ablaufen lassen. Im Gegenteil, ich habe in meinem Kopf Leere geschaffen, habe alles hinausgeworfen, was ihn überfüllte, allen Ballastabgeworfen, mich von jedem bösen Gedanken befreit. Und das war wohltuend, diese Entblößung, diese Preisgabe.
     
    Ich stellte den Wagen auf einem Parkplatz etwas abseits von Sunset Terrace ab, damit man uns nicht sofort findet, und ging den Rest des Weges zu Fuß. Ich zog meine Schuhe aus, der Sand unter meinen Füßen war heiß. Ich dachte: Was für ein schöner Tag!

 
    Meine Mutter sah mich scharf an, als ich das Hotel betrat. Sie stand wie gewöhnlich hinter dem Tresen, aber sie war aschfahl, in ihrem Gesicht zeigte sich so etwas wie eine resignierte Bestürzung. Ich weiß, dass dies ein Widerspruch zu sein scheint, und dennoch war es genau das: eine von Schicksalsergebenheit geprägte Angst. In dem Augenblick wusste sie nicht, was sich da zusammenbraute, aber sie hatte Jack eine halbe Stunde vorher ankommen sehen. Sie hatte ihn begrüßt, wie sie es immer tat, ich glaube, zwischen ihnen hatte sich kein Einverständnis, aber eine Art Duldung eingestellt. Und er war regungslos vor ihr stehen geblieben, unfähig, ein Wort zu sagen, seine Lippen zitterten, sein Blick war verzweifelt, und sie, wie erstarrt durch eine derartige Verwirrung, war schließlich um den Tresen herumgekommen, war auf ihn zugegangen, hatte mehrmals gefragt: »Geht es gut?«, ohne dass er darauf geantwortet hätte, und da hatte sie ihn an sich gepresst, wie eine Mutter es mit ihrem Sohn macht, sie hatte sein Herz wie wild schlagen hören, sie hatte ihn noch stärker an sich gepresst, aber das hatte nichts geändert, und als sie sich daran erinnerte, dass man die Menschen nicht retten kann, dass man sie nicht daran hindern kann, ihren Wagen in der Haarnadelkurve in die Nacht hinausfliegen zu lassen, hatte sie den Druck gelockert. Jack war mit hängenden Armen stehen geblieben. Einige Augenblicke später, alssie wieder zu sich gekommen war, kehrte sie hinter ihren Tresen zurück, um dort auf die Ankunft ihres Sohnes zu warten. Und nun war ich da, merkwürdig ruhig, aber sie kannte meine zur Schau getragene Kälte angesichts von Katastrophen, sie hoffte, dass ich dem Drama standhalten werde. Sie hat mir einen ängstlichen und liebevollen Blick zugeworfen, mit dem sie versuchte, mir zu bedeuten, dass sie, was auch immer geschehen würde, auf meiner Seite wäre. Wir haben kein Wort miteinander gesprochen.
     
    Ich stürzte die Treppe hoch und stieß die Tür von Zimmer 401 auf. Jack stand mit dem Rücken zu mir zwischen den geöffneten Vorhängen am Fenster in der Sonne. Er rührte sich nicht, er wusste, dass ich es war. Ich ging langsam zu ihm hin, betrachtete seinen Nacken. Traurigkeit drückte meine Schultern nieder, der vollkommene Widerhall seiner Traurigkeit, die ich spürte und die den ganzen Raum überflutete, wir waren die Verdammten.
     
    Ich habe meine Hand in seine gelegt, wie Paare es machen, wenn sie in den Parks spazieren gehen, oder Liebende,
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