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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Autoren: Elisabeth Zöller
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Fieber, so glänzen ihre Augen dabei. Aber Klara ist im Moment nicht mein Problem.
    Gertrud steht vor den anderen Mädchen, kreuzt die Arme unter ihrer Brust und lächelt mich an. Nicht spöttisch, nicht hämisch und auch nicht herausfordernd. Gertrud lächelt einfach nur, und damit sagt sie mir, dass sie mich versteht. Es ist meine Aufgabe als Schaftführerin, die Mädel auf Trab zu bringen. Nur wie ich es tue, das gefällt ihr nicht.
    »Nun regt euch mal wieder ab.« Johannas klare, ruhige Stimme mischt sich ein. »Können wir nicht einfach so tun, als würde die Gruppenstunde erst jetzt anfangen? Niemand ist zu spät gekommen, und niemand muss sich aufregen.« Johanna ist immer so vernünftig und praktisch, und es gibt niemanden in der Mädelschaft, der sie nicht mag. »Wir alle haben uns auf heute gefreut, denn der Nachmittag gehört uns. Keine lästigen Geschwister hüten, keine blöde Wäsche waschen, sondern ein paar herrliche Stunden liegen vor uns.«
    Mein Ärger verraucht. »Also gut«, höre ich mich sagen. »Lasst uns fahren. Hedwig führt uns an, und wenn es heute nicht anders geht, dann kommen wir eben alle zu spät.«
    Hedwig wirft mir einen dankbaren Blick zu und schiebt ihr Rad an die Spitze unserer kleinen Kolonne. Ich reihe mich hinter ihr ein, und die Mädchen schließen sich an. Hinter der
Halle Münsterland
führt die Straße durch eine Ansammlung von Schornsteinen, Lagerhallen, Speditionshäusern und Ziegeleien über den Dortmund-Ems-Kanal. Dahinter brechen die Häuserzeilen ab, und der Weg führt ins offene Land. Dann kommt nur noch der Flugplatz Loddenheide mit seinen beiden riesigen Flugzeughallen und einer Reihe von Kasernengebäuden. Kurz vor Gremmendorf hat der BDM Land erworben und in Parzellen aufgeteilt. Hier bepflanzen wir seit April unseren Garten. Die Ernte erwirtschaften wir nicht für uns, sondern sie wird an besonders bedürftige Familien gegeben.
    »Ich kann nicht mehr«, höre ich hinter mir Line japsen. Die Straße führt jetzt in einer lang gezogenen Steigung bis zur Kanalbrücke hoch. Es ist warm und staubig, und scharfer Zementgeruch liegt in der Luft. Ich höre das Kreischen der Verladekräne im Hafen, die Rufe der Hafenarbeiter und das monotone Tuckern der Frachtkähne auf dem Kanal. Aus einem Seitenweg vor uns biegt der von zwei kräftigen Kaltblütern gezogene, blau lackierte, hölzerne Umzugswagen der
Spedition Peters
in den Albersloher Weg ein. Die breitschultrigen Männer auf dem Kutschbock heben die Hand und winken uns zu. Langsam, als hätten sie alle Zeit der Welt, nehmen sie eine scharfe Rechtskurve.
    »Ich kann wirklich nicht mehr. Können wir nicht schieben? Die Steigung bringt mich um.« Line quengelt vor sich hin.
    »Meinetwegen, dann schiebt eure Räder auf die Brücke.« Das abbiegende Fuhrwerk hat uns jeden Schwung genommen, und aus dem Stand kommt meine Truppe nicht mehr in Bewegung.
    »Gott sei Dank, ich dachte schon, ich muss sterben.« Line hält sich theatralisch den Handrücken an die Stirn.
    Alle lachen, doch ich werde wohl mal ein ernstes Wort mit Line reden müssen. In jeder Gruppenstunde treiben wir Sport, machen Gymnastik oder spielen Völkerball. Eigentlich sind alle mit Freude dabei. Nur Line treibt sich an der Seitenlinie herum, lässt plump die Bälle fallen oder bummelt verträumt hinterher. Stricken, Sticken, Stopfen, Häkeln sind die Dinge, die ihr Spaß machen. Mit wirklicher Begeisterung probiert sie fleischlose Rezepte aus. So hat eben jede ihre Stärken. Aber meine Aufgabe ist es, ihre Schwächen aufzudecken und abzustellen. Deshalb muss ich in allem ein Vorbild sein. Das habe ich auf den Schulungen gelernt.
    »Verdammt! Jetzt habe ich einen Platten«, ruft Emmy verzweifelt.
    Wir halten an und lehnen unsere Räder an das Brückengeländer. Emmy ist den Tränen nahe.
    »So ein Mist. Immer ich«, jammert sie.
    »Ja, ja, Emmy. Immer du«, echot es aus der Gruppe. Das ist eine Anspielung darauf, dass sie bei der letzten Obsternte aus dem Baum gefallen ist.
    »Aber Emmy hat bestimmt an alles gedacht und Flickzeug dabei.« Ich sage das wie ein Stoßgebet und hoffe, dass wenigstens eine von uns Flickzeug dabei hat. Ich auf jeden Fall nicht …
    Johanna sieht sich Emmys Fahrrad an. »Flickzeug hilft da nicht. Die Decke ist vollkommen durchlöchert.«
    Die Mädchen beugen sich über Emmys Rad. Und plötzlich bin ich fruchtbar traurig. Das ist meine erste Stunde als Schaftführerin, und ich habe es nicht einmal geschafft, meine Gruppe über
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