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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Autoren: Elisabeth Zöller
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verlass ich dich auch nicht
unser Freundschaftsversprechen. In unserer schönsten Schrift und mit Blumenranken verziert hat jede für die andere den Satz ins Poesiealbum geschrieben. Seitdem ist Mathilda »Lenchen« und ich bin der »Fundevogel«.
    Damals ging Mathilda noch mit mir zur Annette-Schule in die Siebte. Im November vor zwei Jahren ist sie auf einmal nicht mehr in die Klasse gekommen. Zwei andere Mädchen, Luise Goldstein und Gerda Cohn, auch nicht. Aber die beiden sind Jüdinnen und durften nicht mehr mit uns gemeinsam lernen. Bei Mathilda ist das anders. Sie hat Privatunterricht. Ihre Eltern glauben, sie würde wegen der ständigen Arbeitsdienste, zu denen wir Schülerinnen herangezogen werden, zu viel Unterricht verpassen. Ich finde das schade, aber Freundinnen bleiben wir trotzdem. Wir sehen uns nicht mehr so oft, und deshalb sind uns unsere Treffen kostbarer und wichtiger geworden. Wir tauschen Geheimnisse aus, flüstern sie uns zu oder schreiben sie auf. Wir hecken Streiche aus, lachen und halten zusammen.
    Seit einiger Zeit nimmt Mathilda mich mit zum Reiten zu Herrn Berning auf sein Gestüt. Ich gehe heimlich mit, denn meine Eltern dürfen es nicht wissen. Sie haben etwas dagegen, nicht nur, weil sie Reiten viel zu gefährlich finden. Ein Hobby für Reiche, sagen sie, hinterher kommst du noch und möchtest ein eigenes Pferd. Zeitverschwendung, so nennen sie es. Es gebe so viel wichtigere Dinge zu tun. Ich gehe trotzdem reiten, auch ohne Erlaubnis – aber mit riesigem Herzklopfen. Denn eigentlich habe ich keine Geheimnisse vor meinen Eltern. Die Reitstunden schweißen Mathilda und mich nur noch mehr zusammen. Dass meine Eltern das nicht verstehen!
    Vielleicht haben sie etwas gegen Mathilda, weil die Schuberts so reich sind und Dinge besitzen, die wir uns niemals leisten könnten. Dabei sind sie überhaupt nicht angeberisch oder eingebildet. Mathildas Vater ist Medizinprofessor und leitet eine Privatklinik im Münsterland, in der sich auch viele Parteigrößen behandeln lassen. Dr. Schubert und seine Klinik sind weit bekannt, genau wie die Gastfreundschaft seines Hauses. Und dieses Haus am Kanonengraben ist wirklich prachtvoll. Im Vergleich zu unserem Häuschen in der Sonnenstraße ist es die reinste Villa. Ein schmiedeeiserner Zaun umgibt das Grundstück. Am Tor stehen rechts und links Säulen, auf denen steinerne Figuren hocken. Fünf Stufen steigt man zur Eingangstür aus dunklem, mit Schnitzereien versehenen Holz hinauf. Oben sind verzierte Glasfenster eingelassen. Hier tragen rechts und links zwei Steinsäulen einen darüberliegenden Balkon.
    Als ich zum ersten Mal das Gebäude betrat, hielt ich den Atem an. Ich war überwältigt von den prächtig verzierten, geschwungenen Giebeln. In allen Räumen liegt dunkel glänzender Parkettboden, auf dem bunt schimmernde Teppiche ausgebreitet sind. Eine breite Flügeltür führt von der Eingangshalle geradeaus zu einem riesengroßen Esszimmer, an das sich die Bibliothek anschließt. Nach links geht man in den Salon, während rechter Hand eine geschwungene Treppe in die obere Etage führt. Die Fenster des Salons sind raumhoch und mit dunklem Holz umrahmt. Davor steht ein schwarzer Flügel. Bilder in schweren goldenen Rahmen zieren die Wände. Eines zeigt ein Pferd mit schwarzglänzendem Fell und wehender Mähne. Es ist so lebendig gezeichnet, dass man die Kraft und das Feuer dieses Tieres zu spüren glaubt.
    »Das ist Astra, die Araberstute meiner Mutter«, erklärte mir Mathilda, als sie sah, dass ich mit offenem Mund vor dem Bild stehen blieb. »Sie hat es selbst gemalt.«
    Durchquert man den Salon, erreicht man über eine große Terrasse und eine breite Treppe hinab einen weitläufigen, parkähnlichen Garten, der durch einen Zaun von der Promenade getrennt ist. Geht man die Treppe hinauf, gelangt man zu Mathildas Zimmer, den Schlafräumen der Eltern und zu den Badezimmern. Unter dem Dach befindet sich ein Atelier. Die großen Fenster zeigen nach Norden, so dass das Licht sich zu allen Tages- und Jahreszeiten schattenlos im Raum verteilt. Von hier oben hat man eine wunderbare Aussicht über die Dächer der Stadt, sieht die Kirchtürme von Ludgeri und Lamberti.
    Mathildas Mutter ist Künstlerin und bemalt große Leinwände in bunten Farben. Sie malt Menschen mit violetten Gesichtern und einer dunklen Traurigkeit in den Augen. Wolken, die schwer und drohend über einer Stadt hängen. Und sie malt bunte Städte mit roten, wuchtigen Häusern,
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