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Vanilla aus der Coladose

Vanilla aus der Coladose

Titel: Vanilla aus der Coladose
Autoren: Eva Hierteis
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die auf dem niedrigen Sofatisch stand. Ihr Licht warf helle Sternchen an die dunkelrot gestrichenen Wände. Überall hingen kleine Spiegel und farbenfrohe indische Tücher und der Boden war mit Orientteppichen in Rot-, Gelb- und Orangetönen ausgelegt. Hier fühlte sich Vanilla auf Anhieb wohl. Zum Glück. Denn Flaschengeister mussten eine kleine Weile bei demjenigen bleiben, der sie aus ihrer Flasche befreit hatte. Das gehörte sich so. Und es galt auch, wenn die Flasche eigentlich eine Dose war. Vanilla grinste. So eine kleine Weile, das konnten gut und gerne ein paar Jahre sein, wenn es ihr hier gefiel. Denn sie hatte Zeit. Die Ausbildung dauerte schließlich 1001 Jahre. Und so Menschenjahre rasten sowieso zippzapp wie im Flug vorbei.

    Vanilla schaute unschlüssig zwischen dem dunkelroten Samtdiwan und den dicken, riesengroßen Bodenkissen, auf denen auch ein Elefantenpo problemlos Platz gefunden hätte, hin und her und entschied sich dann für die Bodenkissen, weil sie so schön mit silbernen und goldenen Lurexfäden durchzogen waren. An ihren Ecken hingen große goldene Troddeln. Sie legte sich auf den Bauch und stellte das Nutellaglas und die sauren Gurken vor sich auf. Dann schraubte sie die Deckel ab und fing mit abgespreiztem kleinem Finger an, die Gurken ins Nutella zu tunken. Lecker, so ein Dipp. Dazwischen biss sie in den Brotlaib, den sie gleich im Ganzen mitgebracht hatte. Aufschneiden lohnte nicht. Sie würde ihn sowieso aufessen.
    Auf dem niedrigen, geschnitzten Sofatischchen lag eine Zeitschrift.
BRAVO
entzifferte Vanilla und schlug sie auf, während sie kaute. Beglückt betrachtete sie ihren Fund und blätterte sich durch die Modeseiten. Ah, die Leggings waren zurück. Sie sah ihre weite Pumphose an. Mit ein bisschen Magie ließ sich da sicher was machen. Und darüber trug man ein Minimini-Kleid und einen Gürtel lässig um die Hüften geschlungen. Und Jeans schienen wieder
in
zu sein.
    Vanilla las die ganze Nacht hindurch. Ausgeruht hatte sie sich lange genug. Und außerdem war sie ein moderner Dschinn, der großen Wert auf gutes Styling legte. Sie hatte nicht vor, auf dem Stand der türkischen 80er-Jahre stehen zu bleiben, dem Zeitpunkt, als sie eingedost worden war. Gleich morgen würde sie sich durch Lailis Kleiderschrank wühlen. Allerdings hatte sie Bedenken, ob sie da fündig werden würde. Lailis verwaschener Schlabberschlafanzug ließ nichts Gutes ahnen . . .
    Erst als es draußen schon hell wurde und der kleine Vogel, der Frau Speckfetts Schlüpfer bekleckst hatte, zu zwitschern anfing, schlich sie in Lailis Zimmer zurück und quetschte sich zu ihr ins Bett. Diesmal knarzten die Dielen unter ihren Schritten, denn Vanilla hatte so viel gefuttert, dass an anmutiges Über-dem-Boden-Schweben nicht mehr zu denken war.

M uten Gorgen! Gön scheschlafen, meine Stohnenbange-Bohnenstange?« Mit Schwung riss Lailis Vater die Tür auf, wie immer im Sommer nur in seinem Hausanzug, der aus Feinripp-Unterhemd und Feinripp-Unterhose bestand. Im Winter trug er einen Bademantel darüber. Laili mochte den Winter.
    Laili öffnete verschlafen ein Auge und kniff es gleich wieder zu, als ihr Vater beschwingt durchs Zimmer lief und den Vorhang beiseitezog. Ein Sonnenstrahl stach ihr ins Auge. Bernd hatte morgens immer unerträglich gute Laune, mit der er die ganze Familie quälte. Laili zog sich die Decke über den Kopf. So früh am Morgen bereiteten ihr Papas Witze fast körperliche Schmerzen.
    Dann fiel ihr plötzlich wieder alles ein und sie drehte sich hastig im Bett um. Doch sie war alleine. Neben ihr lag niemand. Kein Mädchen. Kein Flaschengeist. Kein Garnichts. Nicht mal heiße Luft oder Zwiebelgestank. War doch alles nur ein Traum gewesen? Laili verspürte Erleichterung und auch ein wenig Enttäuschung. Ihr Blick fiel auf die Coladose, die zwischen den hohen Schlingen ihres wunderweichen weißen Flauscheteppichs vor ihrem Bett lag. Hm . . . Ob sich Vanilla klein gezaubert hatte und wieder in ihrer Dose steckte?
    Aber nein: Im nächsten Moment sah Laili aus dem Augenwinkel, wie hinter der geöffneten Tür ihres Kleiderschranks kurz ein neugieriges Gesicht zum Vorschein kam, das von einem endlosen schwarzen Haarschleier umflossen wurde.
    Laili winkte Vanilla hektisch mit der rechten Hand zu, damit sie wieder in Deckung ging. Aber das Flaschengeistmädchen verstand den Wink nicht. Also wedelte Laili mit der Linken ihrem Papa zu, in der Hoffnung, dass wenigstens der kapierte, dass er verschwinden solle. Es
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