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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt
Autoren: Freda Warrington
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weil er eigentlich zu alt war, um mit seinen jüngeren Geschwistern zu spielen, sich aber gezwungen fühlte, auf sie aufzupassen. Lucas, der zwei Jahre jünger war als Rosie, war ihr beider Schatten.
    Mit ihren neun Jahren war alles immer wieder neu für sie. Zwischen dem einen Abenteuer und dem nächsten vergingen Äonen. Ständig gab es neue Biegungen in den Pfaden zu entdecken, Felsen, die sie noch nie gesehen hatte, erstaunliche Muster auf den Stämmen der Silberbirken.
    Obwohl sich die Schattenreiche am deutlichsten im Zwielicht offenbarten, konnte sie an so lichten Tagen wie diesem die tiefere Wirklichkeit wie einen Hitzedunst über der oberflächlichen Welt schimmern sehen. Zwischen dem Laub spitzten die Augen der Erdgeister heraus, verschwanden aber, sobald sie versuchte, sie direkt anzuschauen. Sie spürte die ätherische Kraft, die ihre Haut streifte und wie Nesseln kribbelte. Das Bewusstsein, Teil von ihr zu sein – und in diese feinstoffliche Dimension eintauchen zu können, wie normale Kinder das nicht konnten –, erregte sie.
    Sie und Lucas teilten diese Erfahrung ohne Worte, weil sie wussten, dass Matthew sie albern fand und sie nur anknurren würde, wenn sie darüber sprachen.
    Rosie kam zum Fuß einer majestätisch ausladenden Eiche, die ihr glänzendes Blätterdach über ihr ausbreitete. Instinktiv fing sie an, daran hochzuklettern, kurzatmig vor Anstrengung.
    »Rosie!«, ertönte Matthews Stimme. »Komm da runter, bevor du dir den Hals brichst!«
    Seine Stimme klang wie von fern und sie ließ sich, verzaubert von der sich blau färbenden Landschaft, die geheimnisvoll in allen Regenbogenfarben schimmerte, ohne nachzudenken, in die Schattenreiche fallen. Belaubte Erdgeister wanden sich um Baumäste und erwiderten ihr Lächeln …
    »Rosie!« Die Stimme war laut und zornig. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, zog Matthew sie in einem Schauer aus Zweigen und Blättern von einem Ast und setzte sie auf dem Boden ab. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du das nicht machen sollst? Es ist gefährlich!«
    »Lass mich!«, erwiderte sie erschüttert und ungehalten. »Ich habe nichts Schlimmes getan.«
    Er strich sein helles Haar zurück und starrte sie so lange an, bis das blaue Feuer seiner Augen sich besänftigt hatte. »Hör zu, solange ich für dich verantwortlich bin, wirst du dich benehmen«, sagte er mit Nachdruck. »Bleib dicht hinter mir und lauf nicht wieder weg.«
    Grummelnd gehorchte sie. Oberhalb der Baumgrenze wateten sie durch kniehohen Farn und erreichten so das Heideland oberhalb des Dorfes. Rosie und Lucas holten keuchend Luft. Sie wussten, dass es ihnen nicht erlaubt war, es zu betreten, aber heimlich hatten sie ihr Vergnügen daran. Selbst Matthew hatte sich bisher noch nicht so weit vorgewagt.
    Er kletterte auf einen Feldspatfelsen und warf sich in Pose. Wolkengebirge sorgten für ein gespenstisches Licht, welches das Frühlingsgrün vor dem eisengrauen Himmel zum Fluoreszieren brachte. Von hier hatten sie einen grandiosen Blick über Cloudcroft und die Charnwood Hills. Ihr eigenes Heim, Oakholme, ruhte behäbig und freundlich unter ihnen mit seinen cremefarben getünchten Mauern und schwarzen Balken. Die verstreut liegenden Stroh- und Schieferdächer des Dorfes schimmerten durch das Meer sich verbrüdernder Eichen, Eschen und Birken, die in endloser Reihe der Schlangenlinie des Tals folgten.
    Auf der anderen Talseite lösten die nackten Hänge von High Warrens mit ihren wilden Felsformationen, so alt wie das Elfengeschlecht selbst, das grüne Weideland ab. Dahinter erhoben sich grau in der Ferne die Hauptgipfel von Charnwood, Beacon Hill, Bardon Hill und Old John mit seinem verrückten, an einen Bierkrug erinnernden Fels. Dunkelgrüne Nadelwälder füllten die darunter liegenden Falten, vermischt mit hellerem Laubwald und Hecken.
    Auf dieser Seite war der Hügelkamm hinter ihnen öde. Das Gras war drahtig, die Erde roch nach Torf. Von Farnen bekränzte Felsbrocken ragten aus der Erde. Auf dem langen Zackengrat des Gipfels stand ein Haus. Es war aus Granit erbaut und erinnerte an eine Festung. Das Dach war aus schwarzem Schiefer. Dahinter ballten sich bedrohliche Regenwolken zusammen.
    »Ist das Stonegate Manor?«, fragte Rosie erschrocken. Sie hatte dieses Haus bisher nur von der Straße aus gesehen. Aus diesem Blickwinkel sah es ganz anders aus.
    »Was soll es denn sonst sein, Dummerchen«, sagte Matthew. »Dort wohnen die Wilders. Die Nachbarn, über die Mum und Dad sich nur
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