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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt
Autoren: Freda Warrington
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sie.
    Eine Erinnerung tauchte auf. Sie war noch sehr jung gewesen, fünf oder sechs. Sie spielte im Garten … entdeckte das unschuldige Wunder der Schattenreiche, mit einem Schritt in eine Welt einzutauchen, die wie diese war, aber wie unter Wasser und voller Geheimnisse … bis Hände sie an den Schultern packten und sie zurück in die wirkliche Welt zogen und Matthew sie anschrie, als hätte er sie einer Gefahr entrissen.
    Ihre Angst und ihre Verwirrung waren noch immer sehr präsent. Bis zum heutigen Tag wusste sie nicht, warum er so wütend gewesen war. Es war das erste Mal gewesen, aber nicht das letzte … Matthews Warnungen hatten sie nicht aufhalten können. Vielleicht wusste er ja doch mehr als sie.
    Rosie lehnte sich zurück und betrachtete den Glanz ihrer lackierten Nägel. Jeder Nagel sah anders aus – blau, grün, violett – und jeder veränderte sich im Licht, schimmerte magenta- oder bronzefarben. Sie sah sich die Flasche genauer an. Die Farbe hieß Zeitgeist. Also war der Geist des Zeitalters schwer zu fassen. Vielfarbig. Flüchtig.
    »Das passt«, sagte sie laut.
    »Rosie?« Lucas, ihr jüngerer Bruder, steckte den Kopf durch die Tür. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Er schien besorgt zu sein. »Komm rein«, sagte sie lächelnd und zeigte ihm ihre irisierenden Fingernägel. »Das sind wir, genauso sind wir.«
    »Was sind wir?«
    Sie bewegte ihre Hand, um ihm den Farbwechsel zu demonstrieren. »Elfenwesen sind genauso. Keiner sieht uns so, wie wir wirklich sind.«
    Lucas sah sie mit einem schiefen Lächeln an und setzte sich dann im Schneidersitz auf das Bettende. Mit seinen einundzwanzig Jahren war er ein dunkelhaariger, gut aussehender Mann mit langen Gliedmaßen wie ein Hengstfohlen. Von seiner Anwesenheit ging etwas Beruhigendes aus. Von allen aus ihrer Familie – und trotz des Streits, den sie zuvor mit ihm gehabt hatte – stand er ihr am nächsten. »Sag ehrlich, bist du noch immer wütend auf mich?«
    Sie seufzte. »Nein, natürlich nicht.«
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte er. Aber du sollst hier nicht herumsitzen und vor dich hin brüten, Rosie.«
    »Ich brüte nicht.«
    »Was machst du dann?«
    »Ich stehe am Scheideweg. Überlege, welche Richtung ich einschlagen soll. Denke über alles nach, was geschehen ist, und mache mir klar, dass ich mich davon entfernen muss.«
    »Und?«, fragte er ängstlich. »Na los, sag schon, woran du denkst.«
    Rosie strich ihr Haar beiseite und berührte die Narbe an ihrem Hals. »An den Tag, der mir das hier einbrachte.« Sie atmete ein und aus. »An die Wilders. Was meinst du, werden wir jemals ganz frei von ihnen sein?«
    Es folgte eine lange Pause. Lucas sah sie mit leicht gerunzelter Stirn unverwandt an. »Möchtest du das denn?«

~  1  ~
Das Haus der zerronnenen Träume
    Zu Rosies neuntem Geburtstag schenkte ihr Vater ihr das Schönste, was sie je gesehen hatte: ein funkelndes Kristallherz, das sie im Schaufenster eines Juweliers in seinen Bann gezogen hatte. Forderungen zu stellen war ihrem Wesen fremd, aber ihre Eltern hatten es nicht vergessen. Als sie das Geschenk öffnete, lag dieser wundervolle Anhänger funkelnd auf schwarzem Samt vor ihr.
    Sie trug ihn stolz an einer stabilen Silberkette. Zu ihrem blauen T-Shirt und den Jeans sah er viel zu edel aus, aber das kümmerte sie nicht. Wenn sie rannte und mit ihren Brüdern Fußball spielte, schlugen seine harten kleinen Kanten gegen ihre Brust.
    Es war ein warmer, strahlender Frühlingstag. Sie tauchten ein in das üppig wuchernde Grün ihres Gartens, das sie von der Rasenfläche in schmalere Laubengänge zog und weiter durch den Rosengarten und den Kräutergarten bis zu den Ecken, wo die Natur sich selbst überlassen war und ihr Grundstück an riesigen Eichen und wild wuchernden Hagedornhecken endete. Sie ließen den Ball liegen. Matthew ging durch eine Lücke in der Hecke voran zu den Pfaden, die sich durch das dahinterliegende Waldgebiet zogen.
    Ein Fluss schlängelte sich an ihrem Garten vorbei. Sie wussten nur allzu gut, dass sie diesen nicht überqueren durften. Matthew schritt voraus über die Trittsteine und erklomm dann die Uferböschung.
    Rosie und Lucas folgten ihm mit Herzklopfen.
    Matt war vierzehn und übernahm immer die Führung. Er schäumte über vor Energie und erklomm den steilsten Teil des Waldes so schnell, dass seine Geschwister kaum mit ihm Schritt halten konnten. Rosie war aufgefallen, dass er in letzter Zeit rastlos geworden war und leicht aus der Haut fuhr,
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