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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel
Autoren: Landolf Scherzer
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hätte sie heute noch nicht gesehen.
     Sie schaut micheher neugierig als feindselig an, erzählt, dass es hier inzwischen wie im Taubenschlag zugehen würde. Gleich nach der Wende
     wären Frauen aus der BRD gekommen. »Die standen im Hof und erinnerten sich andächtig der Zeit im Reichsarbeitsdienstlager.«
     Die ehemals verwundeten russischen Soldaten wären noch nicht wieder erschienen. »Haben jetzt wohl andere Sorgen.« Dann aber
     die feinen Herren Schlosskäufer aus dem Westen. »Die den Mund nicht aufkriegen, naserümpfend hier umherstolzieren und genauso
     wortlos wieder verschwinden. Aber noch schlimmer sind die neuen Möchtegernreichen aus dem Osten, die im alten Mercedes vorfahren.
     Die latschen, ohne sich die Schuhe abzutreten, in unseren Wohnungen herum, taxieren den Grundriss des Kinderzimmers und sagen
     grinsend: ›Das gibt ’ne schöne Bar oder so was Ähnliches.‹«
    Sie schüttet das Spülwasser neben der Tür aus. Vier Familien, eine mit vier Kindern und einem Hund, würden noch in dem alten
     Wirtschaftsgebäude wohnen. Alle hätten bis 1990 in der Pionierleiterschule, also dem früheren herrschaftlichen Gutshaus, gearbeitet.
     »Die Frauen in der Küche oder im Sekretariat, die Männer als Heizer oder Hausmeister.«
    Von Frau Eckstein noch immer keine Spur. Dafür gesellen sich der ehemalige Heizer und der Hausmeister zu uns. Der Heizer ist
     unrasiert. Seine Augen weichen aus, wenn man ihn anschaut. Seit reichlich drei Jahren würde er die Pionierleiterschule nicht
     mehr beheizen. »Niemand heizt dort. Im Winter sind die Wasserleitungen aufgefroren. Drei Winter ohne Heizung haben drinnen
     mehr kaputtgemacht als 40 Jahre DDR.« Und er rechnetmir vor, wie wenig die Kohlen und seine Arbeitsstunden die Treuhand gekostet hätten: »Nicht mal einen Bruchteil von der Summe,
     die man nun braucht, um die Nässe wieder rauszukriegen … Aber es ist ja nicht ihrs.« Und der Hausmeister erzählt, dass er
     seine Wohnung, die ja auch nicht seine wäre, im letzten Jahr vom eigenen Geld renoviert, das Bad gefliest hätte. »Doch wenn
     jetzt einer kommt, der den Krempel kauft und uns rausschmeißt, werde ich zuvor alles eigenhändig wieder abhacken.«
    Ich frage, weshalb die vier Familien das Wirtschaftshaus, das 400.000 DM kosten soll, nicht zusammen kaufen.
    Die Frau, sie heißt Liebherr, lächelt böse. »Wir waren deswegen schon bei der Bank, aber in zwei der Familien hat niemand
     mehr Arbeit. In solch einem Fall verborgt die Bank keinen Pfennig.«
    Frau Eckstein erscheint an diesem Tag nicht mehr. Die Türen vom Roschützer Rittergutshaus bleiben mir verschlossen.
    Bevor ich zum Marienthaler Schlösschen fahre, erkundige ich mich in der Suhler Außenstelle nach den Besichtigungsmöglichkeiten.
    Die dortige Treuhand residiert in der dickmäurigen, einer runden Trutzburg nicht unähnlichen ehemaligen Stasi-Zentrale Südthüringens.
     Hier drin war ich noch nie, weder vorher noch hinterher.
    Ein grell bemaltes Fitnesscenter wirbt mittlerweile für Sauna, Schönheit, Kraft und Entspannung. Zwischen vielen Büros finde
     ich in einem langen Gang die Liegenschaftsgesellschaft. Und Frau Brandt – früher Arbeitsökonomin, dann arbeitslos, Umschulung
     und nun verantwortlichfür den Verkauf von Betriebsferienlagern, Bungalows und Schlössern – versichert mir, dass ich mich wegen der Schlossbesichtigung
     jederzeit beim Pförtner des nebenan stehenden Kugel- und Rollenwerkes Schweina melden könnte.
     
    Der Betrieb, der sich mit seinen großen alten Hallen kilometerweit in der Flussaue ausbreitet, ist nicht zu verfehlen, doch
     das Schlösschen finde ich nicht. Und Ortsansässige, die ich nach dem Marienthaler Schlösschen frage, kratzen sich den Kopf:
     »Ein Schlösschen? Ham wir hier nicht.« Bis mir einer sagt: »Das ist unser Betriebskulturhaus, unten Küche und Kantine drin,
     das heißt, seit zwei Jahren ist die Küche dicht.«
    Das Schlösschen, ein zweigeschossiger, streng symmetrischer klassizistischer Bau, sieht ein bisschen nach Kantine aus. Schmuddelig.
     An der Hinterseite hat man eine dicke Heizschlange wie eine Infusionsleitung in das Gemäuer gesteckt. Darunter eine hässliche
     Rampe, wohl zum Verladen von Rotkohl und Kartoffeln … Der Park (24.000 Quadratmeter!) ist verwildert, mittendrin ein Schießstand
     und Teiche, zu Tümpeln verwunschen. Der Pförtner des Betriebes hat die Schlüssel zum Schloss. Er telefoniert mit Herrn Zimmermann,
     der mir aufschließen soll. Das dauert.
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