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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Unknown Author
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Applaus begleitete seinen Abgang aus dem Ring der Manege: die Menschen lächelten nachsichtig, und ihre Bewunderung unterschied sich nicht von jener anderen, die sie den überraschenden Kunststücken der Robben entgegenbrachten.
    Plötzlich erschütterte Unsicherheit seine Träume. Bisher hatte er dieses heimliche, erfüllte Leben vor der Öffentlichkeit geschützt. Wenn man ihn nun an diesem Abend als August, den Clown August wiedererkannte – welches Unglück! Nie wieder würde er Frieden finden, man würde ihn verfolgen von Stadt zu Stadt, ihn zu Erklärungen zwingen und darauf bestehen, daß er seinen Platz wieder einnehme in der Welt der großen Stars. Unklar fühlte er, daß man ihn sogar des Mordes an August bezichtigen konnte. August war ein Begriff, ein Idol; er gehörte der Welt. Es ließ sich nicht absehen, womit man ihn noch plagen würde …
    Man klopfte an die Tür. Einer von der Truppe trat ein, lediglich um nachzusehen, ob alles in Ordnung gehe. Nach einigen beiläufigen Worten erkundigte sich August nach Antoines Befinden.
    »Ich hoffe, er fühlt sich besser«, sagte er.
    »Nein«, erwiderte der andere ernst. »Sein Zustand verschlimmert sich, scheint's. Niemand weiß genau, was ihm fehlt. Vielleicht sprechen Sie ein Wort mit ihm, bevor Sie auftreten, ja?«
    »Aber gewiß!« sagte August. »Ich bin in fünf Minuten fertig.« Und er verstrich den Rest der Schminke in sein Gesicht.
    Das Fieber schüttelte Antoine, als August bei ihm eintrat. Er beugte sich über den Kranken und strich über seine feuchte Hand.
    »Armer Alter«, murmelte er, »was kann ich für dich tun?«
    Antoine hob die Augen und blickte ihn minutenlang mit dem Ausdruck eines Menschen an, der sich selbst im Spiegel sieht. Langsam begriff August, was in ihm vorging.
    »Ich bin's, August«, sagte er sanft.
    »Ich weiß«, sagte Antoine. »Du bist's … aber ich könnte's auch sein. Keiner merkt den Unterschied. Und du bist ein Großer, und ich war irgendwer.«
    »Vor wenigen Augenblicken habe ich dasselbe gedacht«, sagte August mit einem aufmerksamen Lächeln. »Merkwürdig – nicht? Ein bißchen Schmiere ins Gesicht, eine Blase, ein Lumpengewand – wie wenig man doch braucht, um nichts aus sich zu machen. Das sind wir alle einmal gewesen – nichts. Und jedermann zur gleichen Zeit. Sie applaudieren nicht uns, sie applaudieren sich selbst. Mein lieber Alter, ich muß gleich gehen, aber laß dir zuerst noch sagen, was ich neulich dazugelernt habe … Du selbst zu sein, nur du selbst, ist eine große Sache. Aber wie macht man das, wie bringt man das fertig? Das ist der schwerste Trick von allen! Das Schwerste, weil es keinerlei Anstrengung von uns verlangt. Du versuchst weder dies zu sein noch das, weder groß noch klein, nicht tüchtig und nicht ungeschickt … Kannst du mir folgen? Du tust, was dir gerade einfällt. Aber mit Anstand, bien entendu! Denn nichts ist unwichtig. Nichts! Statt Gelächter und Applaus empfängst du Lächeln. Ein kleines, zufriedenes Lächeln – das ist alles. Aber es ist auch wirklich alles … mehr als du verlangen kannst. Du verrichtest die Dreckarbeit und nimmst sie den anderen von der Schulter. Das macht sie glücklich, aber dich selbst noch viel mehr. Begreifst du? Aber du mußt es ganz unauffällig tun, du darfst sie nicht wissen lassen, welches Vergnügen es dir bereitet. Wenn man dich einmal ertappt, wenn sie dein Geheimnis durchschauen, bist du verloren. Sie werden dich selbstsüchtig nennen, gleichviel was immer du für sie getan hast. Du kannst tun, was du willst – buchstäblich Selbstmord begehen auf offener Szene, solange sie dich nicht verdächtigen, daß du dich auf ihre Kosten bereicherst, indem sie dir eine Freude bereiten, die du dir selbst nicht geben könntest. Nun gut! Entschuldige mich, Antoine, ich wollte keine lange Rede halten. In irgendeiner Weise bist du's, der mir heute ein Geschenk macht. Heute kann ich August sein, indem ich Antoine spiele. Das ist noch besser, als wirklich Antoine zu sein, compris?«
    August hielt inne; mit diesem letzten Gedanken hatte ihn eine große Idee gestreift. Sie eignete sich nicht zur sofortigen Mitteilung an Antoine. Sie umschloß ein Risiko, ein Element der Gefahr. Aber er wollte nicht daran denken, er mußte sich jetzt beeilen, die Sache auszuarbeiten … diese Nacht noch, möglicherweise.
    »Hör zu, Antoine«, sagte er fast schroff, wäh
    rend er sich zum Gehen wandte. »Ich werde dich heute nacht vertreten und vielleicht auch morgen nacht,
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