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Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi

Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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Nein, es werden wohl doch zwanzig sein. Ist das nicht egal? Ich spüre den Wind der Rotoren, ziehe den Kopf ein. In der Gasstation keine Reaktion. Niemand rennt, niemand kapituliert, niemand wehrt sich. Gleich bin ich daran vorbei. Wenn mir die Hubschrauber folgen … Warum sollten sie? Würden die was von mir wollen, sie hätten längst landen, längst auf mich schießen können. Ich überlege fieberhaft, woran ich momentan fürs „Magazin“ recherchiere. Nichts Brisantes dabei, vielleicht abgesehen von der Banken-Geschichte. Steckt doch mehr hinter dem Selbstmord des Bankers? Ich renne, mein Keuchen wird längst vom Lärm der Hubschrauber übertönt, Blick auf die Uhr. Es ist zehn vor zehn und ich bin momentan mit elf Stundenkilometern unterwegs. – Was? Ein Kontrollblick. Tatsächlich. Wie rasch kann ich im äußersten Fall rennen? Vielleicht zwölf, dreizehn Stundenkilometer. Hubschrauber sind schneller. Sie kreisen noch immer wie ein Schwarm wütender Monsterhornissen. Fünf sind es – oder sechs? Egal. In ein paar hundert Metern beginnt die Kellergasse von Treberndorf, ein paar hundert Meter, dann bin ich in Sicherheit. Vorbei am Windschutzgürtel. In den Büschen bewegt sich etwas. Nicht nur ich, auch alles andere, was Instinkt hat, will weg von hier.
    Ich wische mir wieder über die schweißbrennenden Augen. Das ist ein Tarnhelm. Und unter ihm kein Reh, sondern ein Männerkopf. Noch ein Helm. Und noch ein Kopf. Und dann zwei Soldaten, die sich aufrappeln und mich anstarren. Ich bin da nicht in Syrien, nicht zeitversetzt im Vietnam der Siebzigerjahre, ich bin in meinem grünen Weinviertel mit Wein und Ölpumpen und …
    „Was machen Sie?“, brüllt der eine Soldat aus dem Gebüsch.
    „Blumen pflücken“, keuche ich und bleibe nicht stehen. Was für eine idiotische Frage. Wird wohl schon eine Joggerin gesehen haben.
    „Da ist eine Übung!“, brüllt der andere.
    Ich atme so vehement aus, dass es mir einen Stich in der rechten Seite gibt. „Ich muss nach Treberndorf!“, schreie ich zurück und trabe weiter.
    Die beiden Streitkräfte arbeiten sich aus dem Gebüsch und kommen auf mich zu. Tarnanzug, Gewehr. Ich mag keine Menschen mit Waffen. Ich werde sie ignorieren.
    „Sie können da nicht durch, das ist gesperrt“, erklärt mir der erste Soldat noch immer brüllend. Über uns die Hubschrauber.
    „Hat mir keiner gesagt.“ Ich bleibe stehen. „Was üben Sie?“ Seitenstechen, mit jedem Atemzug schneiden Messer durch meine rechte Seite.
    „Das ist Militärgeheimnis“, brüllt der zweite Soldat.
    „Ich bin Journalistin“, rufe ich so laut wie möglich.
    Die beiden sehen einander ratlos an. Über uns die kreisenden Hubschrauber, ganz nah. Wären es Vögel, wir könnten sie aus der Hand füttern, scheint mir.
    „Gibt es noch mehr von euch im Gebüsch?“, will ich wissen. Dass laut fragen so wehtun kann.
    „Der Presseoffizier ist nicht da“, schreit Nummer eins gegen den Weinviertler Kriegslärm an.
    Ich hole so tief wie möglich Luft. „Möge die Übung gelingen“, rufe ich und starte gleichzeitig los. Ich werde das Seitenstechen einfach ignorieren. Sie werden mir schon nicht nachschießen. Ich hab mich heute schon mehr gefürchtet. Drei weitere Helme mit verdutzten Gesichtern tauchen auf. Die Lippen des Soldaten vor mir formen so etwas wie ein „Aber …“. Es geht im Lärm unter. Ich laufe und weiß mit einem Mal, warum man fit sein sollte: um davonrennen zu können. Ich atme tief aus und ein. Ich sehe nicht auf meine Multifunktionsuhr. Ich weiß auch so, dass ich schnell bin. Das Seitenstechen wird erstaunlicherweise schwächer. Die gelbe Fassade des ersten Häuschens in der Kellergasse. Die große Trauerweide. Kopfsteinpflaster unter meinen Laufschuhen. Ich drehe mich nicht um. Fast am Ende der Gasse zwischen zwei Kellerhäuschen zweigt ein schmaler Pfad ab. Schon bin ich dort, ich schlage einen Haken, spätestens jetzt haben sie mich aus den Augen verloren. Ich rutsche, strauchle, der Lehm unter mir ist glitschig, heute Nacht hat es geregnet, ich falle, ich liege zwischen den beiden Kellergebäuden. Eines ist weiß gestrichen, vom anderen blättert der braune Putz ab. Erst jetzt merke ich, dass es still geworden ist. Ich sehe nach oben. Die Fassaden und ein Baum verdecken einen Teil des Himmels, aber es scheint, als wären die Hubschrauber weg. Sind sie gelandet? Oder davongeflogen? Ich rapple mich auf. Knie und Schienbeine sind voller Erde, doch mir ist nichts passiert. Gar nichts
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