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Unter Deutschen

Unter Deutschen

Titel: Unter Deutschen
Autoren: J Kennedy
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Gemälde, das Pablo Picasso als Reaktion hierauf malte, wurde im Spanischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung (25. Mai bis 25. November 1937) gezeigt.
    Kennedy besucht diese Ausstellung, auf der er auch die monumentalen Pavillons des Deutschen Reiches und der Sowjetunion gesehen haben muss, die einander am Eiffelturm nahezu allegorisch als Architektur gewordener Systemkonflikt gegenüberstanden. In Notre-Dame nimmt er an einer Messe von Kardinal Eugenio Pacelli teil,dem späteren Papst Pius XII. und früheren apostolischen Nuntius im Deutschen Reich, der 1933 das Konkordat mit der Regierung Hitler unterzeichnete – und der ein Freund seines Vaters ist.
    Nachdem er in seinem Freshman Year Lehrveranstaltungen in politischer Geschichte belegt hat, weiß Kennedy, wie unvollkommen seine Kenntnisse noch sind. Das Wort »Faschismus« (»Fascism«) schreibt er im Tagebuch durchweg falsch (»Facism«). Er gibt zu, wie leicht man zu beeinflussen sei, »wenn man keine Ahnung hat«. Aber er sucht nach Aufklärung, und zwar systematisch – beinahe wie ein politischer Journalist oder wie ein Ethnologe im Feld. Unterwegs liest er ein Buch des US-amerikanischen Korrespondenten John Gunther, das ein Panorama der Gesellschaftsformen und Führungspersönlichkeiten der wichtigsten europäischen Länder zeichnet: »Inside Europe« (1936). Überall werden Einheimische interviewt oder Fremde im Auto mitgenommen, unter ihnen deutsche Soldaten, aber auch ein Gegner der Nazis. Kennedy spricht mit Enrico Galeazzi, dem Sekretär Kardinal Pacellis, und mit Arnaldo Cortesi, dem Italien-Korrespondenten der New York Times , die ihm die »Vorzüge« des Faschismus vor Augen führen wollen, insbesondere den »Korporatismus« als System des staatlichen Ausgleichs von Ständeinteressen. »Es schien tatsächlich etwas dran zu sein«, schreibt Kennedy leichtgläubig. Im italienischen Alltag meint er erkennen zu können: »Der Faschismus scheint ihnen gut zu tun.« Zugleich weiß er, dass Mussolini gerade erst einen Kolonialkrieg geführt (1935–1936) und Äthiopien bzw. Abessinien besetzt hat.
    Ihr Weg durch Deutschland führt die Studenten an Orte, die beider Nazifizierung des Landes eine besondere Rolle spielten: vor allem München, die »Hauptstadt der Bewegung« und des Hitler-Putsches (1923), und Nürnberg, die »Stadt der Reichsparteitage« (deren Schauplatz auf der Pariser Weltausstellung als Modell vorgestellt wurde). Dort verpassen sie Hitlers Ankunft nur knapp. Sie halten sich am 19. und 20. August 1937 in Nürnberg auf; der »Reichsparteitag der Arbeit« findet vom 6. bis 13. September 1937 statt. Lem Billings erklärte im Rückblick, sie hätten »immer bereut«, dass sie nicht länger geblieben seien, um Adolf Hitler zu sehen.
    Außer über Garmisch-Partenkirchen und Oberammergau, über München und Nürnberg schreibt Kennedy in seinem Tagebuch auch von Frankfurt und Württemberg, von der Fahrt am Rhein und zuletzt aus Köln, vor der Ausreise nach Holland. Der Aufenthalt in Deutschland dauert insgesamt eine knappe Woche, vom 17. bis 22. August 1937.
    Diese Reise im Jahr 1937 fällt in eine historische Zwischenzeit: nach den Olympischen Spielen von 1936, als das Regime die zahlreichen Besucher aus aller Welt durch eine aufwendige Selbstinszenierung zu beeindrucken suchte, und vor der außenpolitischen Aggression, die sich 1938 im »Anschluss« Österreichs und in der Eingliederung des Sudetenlands verschärfte, sowie vor der offen gewaltsamen Verfolgung der Juden, deren unübersehbare Eskalation die »Reichskristallnacht« im November 1938 war. Im Sommer 1937 konnte man Deutschland durchaus noch einigermaßen »normal« als Tourist erkunden. Man konnte dabei vieles übersehen. Aber man konnte auch Einsichten in die Diktatur gewinnen.
    Kennedy und Billings waren nicht die einzigen ausländischen Reisenden,die das »Dritte Reich« von innen erlebten. Der Romancier Thomas Wolfe zum Beispiel, der Deutschland mehrfach besucht und zu seiner Wahlheimat erklärt hatte, nahm 1937 seinen Abschied, indem er seine Ausreise als schockartiges Erlebnis der Judenverfolgung in einer bekenntnishaften Novelle schilderte: »I Have a Thing to Tell You« (»Nun will ich Ihnen ’was sagen«). Während er sich ein halbes Jahr lang im Land aufhielt, führte Samuel Beckett ein mit zahlreichen deutschen Ausdrücken durchsetztes Tagebuch, in dem er seinen zunehmenden Überdruss angesichts der Gleichschaltung ausdrückte: »What a Schererei this trip is
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