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Unter Den Augen Tzulans

Unter Den Augen Tzulans

Titel: Unter Den Augen Tzulans
Autoren: Markus Heitz
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rechte Hand an einen Zipfel des groben Stoffs. »Da, halte dich fest und lass nicht los.«
    »Nicht loslassen«, wiederholte Torben ein wenig lallend. »Die Gewürzplempe ist großartig«, kicherte er. Dann runzelte er die Stirn und sah einen Passanten strafend an, der an ihm vorbeiging. Die Schritte dröhnten in seinen Ohren. »Mann, diese Kalisstri machen einen Lärm. Kannst du nicht leiser laufen?«
    »Dann bete zu der Bleichen Göttin, dass keine Kutsche vorbeikommt«, grinste Varla. »Nicht loslassen, verstanden?« Sie eilte zum Hafen.
    Torben sank gegen die Hauswand und brummte ein Lied, die Augen geschlossen.
    »Hey, steh auf!«, befahl ihm jemand und klopfte ihm auf den Rücken. »Ich muss den Sack mitnehmen.«
    »Nein, mein Herr.« Der Rogogarder schüttelte übertrieben den Kopf, ohne die Lider zu öffnen. »Ich muss sitzen und warten. Und nicht loslassen.«
    »Oje, da hat wohl jemand ein bisschen viel Njoss zu sich genommen.« Ein kurzer Stoß beförderte den Rogogarder vom Sack, doch den Zipfel hielt er eisen fest.
    »Ich soll ihn nicht loslassen«, gluckste er. »Nein, mein Herr, diesen Sack lasse ich nicht los.«
    »Dann wirst du wohl mitkommen müssen.« Als der Mann die Fracht aufhob, folgte er ihm, das Stück Stoff zwischen den Fingern.
    Die Augen geschlossen, tappte er wie ein blinder Hund an der Leine hinter dem Unbekannten her. Ab und zu hörte er Gelächter, wenn sich die Umstehenden über das seltsame Paar amüsierten, aber das störte ihn in seiner Rauschseligkeit nicht.
    Er lachte mit, sang Lieder, stolperte zwischendurch immer wieder und rempelte seinem Führer ins Kreuz, der sein Anhängsel aber mit einer gefassten Ruhe durch die Gassen von Jökolmur zerrte.
    Irgendwann bemerkte er, dass er eine neue, aber dennoch vertraute Melodie, die an seine Ohren drang, mitbrummte.
    Die leisen, feinen Töne wie von kleinen Glöckchen erzeugten eine Weise, die er vor langer Zeit gehört hatte. Er lauschte gebannt, die Finger öffneten sich und gaben den Sackzipfel frei.
    Der Freibeuter sprang und hüpfte zu der Melodie, drehte Pirouetten, bis er außer Atem an einer rauen Wand hinabrutschte und sich kichernd von seinem ungelenken Tanz ausruhte.
    »Ich bin gehopst wie diese hölzerne tarpolische Tanzschwuchtel«, verkündete er den Mauern und lehnte den Kopf an. Als er es wagte, die Augen nur einen Spalt zu öffnen, drehte sich die Welt um ihn herum. Nur kurz erkannte er gespannte Seile über sich, an der Frauenunterwäsche im Wind baumelte. Schnell schloss er die Lider.
    In seinen entrückten Gedanken entstand eine verschwommene Erinnerung.
    Er sah ein lackiertes Kistchen, das von schlanken Frauenhänden behutsam auf einen kleinen, groben Tisch gestellt wurde. Die Finger klappten den Deckel zurück, augenblicklich ertönte eine zarte Melodie, die mit der identisch war, die er eben gehört hatte. Die Miniatur eines tarpolischen Tänzers sprang um seine filigran gearbeitete Partnerin herum, die sich auf den Zehenspitzen immer um die eigene Achse drehte. Es war ein Geschenk. Ein Geschenk an … »Norina!«, entfuhr es Torben. Ungeschickt stand er auf, schwankte von einer Hauswand gegen die nächste, während er immer wieder versuchte, die Lider zu heben. Aber das grelle, unbarmherzige Licht ließ es nicht zu. »Norina!«
    Die Töne verstummten abrupt.
    Hilflos wie ein Kleinkind stolperte und stürzte der Freibeuter durch die Straßen von Jökolmur, immer wieder den Namen der Frau rufend, an deren Tod er niemals geglaubt hatte.
    Doch er erhielt keine Antwort.
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