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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01
Autoren: Douglass Sara
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Leben zu bleiben – seit der Stunde, da man sie hier in dieser Ödnis ausgesetzt hatte. Die Berge brachten selbst dem kräftigsten und erfahrensten Jäger den Tod, und erst recht ihr, die von der schrecklichen Geburt vor zwei Tagen noch sehr geschwächt war, als sie einen Sohn zur Welt gebracht hatte.
    Trotz aller Strapazen, die sie auf sich genommen hatte, und trotz aller Gebete, Tränen und Flüche war der Säugling bei der Geburt gestorben. So reglos und blau verfärbt hatte er ausgesehen, daß die Ammen ihn auf der Stelle fortgeschafft hatten. Die Mutter hatte ihn nicht einmal halten und um ihn weinen können.
    Kaum hatten die Ammen ihre Kammer in aller Hast verlassen, traten zwei Männer ein. Bedachten sie mit kaltem, zornigem Blick, sprachen sie mit Abscheu an und schleiften die weinende und blutende Frau aus dem Raum. Hatten sie aus ihrem Leben voller Bequemlichkeit und Hochachtung gerissen, auf einen elenden Holzkarren geworfen und sie noch am selben Tag hinaus an den Fuß der Eisdachalpen gefahren.
    Und an diesem Ort hatte man die Mutter ohne viel Aufhebens vom Karren gestoßen. Fraglos wünschte man ihren Tod, aber die Männer scheuten davor zurück, die Hände mit ihrem Blut zu besudeln. Deshalb hatten sie sich wohl für diesen Weg entschieden. Ohne Zweifel würde die Frau an diesem öden Ort einen langsameren Tod erleiden. Sei es durch die Unaussprechlichen, die hier durch die Felsen schlichen, sei es durch Kälte und Eis. Gleichwie, der Frau würde genug Zeit bleiben, um über ihre Schande nachzudenken, ein uneheliches Kind in die Welt gesetzt zu haben … ein totes uneheliches Kind!
    Aber die Frau nahm sich fest vor, nicht hier draußen zugrunde zu gehen. Eine Hoffnung besaß sie noch, eine einzige. Sie müßte höher ins Gebirge hinaufsteigen. Auch wenn sie kaum dem Mädchenalter entwachsen war und nicht mehr als Lumpen am Leib trug. Doch würde ihr starker Wille sie dazu zwingen, am Leben zu bleiben.
    Schon in den ersten Stunden fühlten sich ihre Füße wie Eis an, und sie spürte sie nicht mehr. Die Zehen hatten sich schwarz verfärbt, und an den Fingerkuppen hatte sich Eis gebildet. Sie schienen sich ebenfalls zu schwärzen. Die trockenen Lippen hatten sich von den Zähnen zurückgezogen und waren zu einem gespenstischen Lachen erstarrt.
    Die Frau kauerte sich unter einen Fels. Voller Hoffnung und Entschlossenheit hatte sie den Aufstieg begonnen, doch jetzt mußte sie sich trotz ihres starrköpfigen Überlebenswillens eingestehen, daß ihre Lage aussichtslos war. Vor langem schon hatte sie aufgehört, vor Kälte zu zittern. Ein sehr schlechtes Zeichen.
    Das Wesen beobachtete die Frau nun schon seit Stunden. Verfolgte voller Neugier, was sie trieb. Es hockte hoch oben auf den Hängen des Bergs und spähte aus Augen hinunter, die noch auf fünf Meilen eine Maus sich kratzen sahen. Nur der Umstand, daß die Menschin sich genau auf seinen Tagesruheplatz zu bewegte, brachte das Wesen dazu, sich überhaupt zu rühren. Es spreizte die Federn in der eisigen Luft, breitete die Schwingen aus und erhob sich, verärgert über die Störung, in die Lüfte. Viel lieber hätte das Wesen den Tag damit verbracht, sich in der schwachen Sonne das Gefieder zu putzen; denn es war ein eitles Geschöpf.
    Die Mutter sah den Flieger hoch über sich. Während sie in die Sonne äugte, versperrten ihr graue Wölkchen die Sicht.
    »Sternenströmer?« flüsterte sie, und neue Hoffnung erfüllte ihr Herz und ihre Stimme. Langsam und zögernd hob sie eine schwarze Hand in den Himmel. »Seid Ihr es?«

1 Der Turm des Seneschalls
     
    Neunundzwanzig Jahre später …
    Der gefleckte blaue Adler trieb hoch über den Hoffnungen und Taten der Menschen am Himmel. Mit seiner Flügelspannweite von Mannsgröße schwebte er träge auf den Aufwinden, die von den riesigen Binnenebenen des Königreichs Achar emporstiegen. Unmittelbar unter dem Tier erstreckte sich die silbrig blaue Weite des Gralsees, der sich in den großen Strom Nordra ergoß. Dieser wiederum schlängelte sich durch das Land Achar auf das Meer von Tyrre zu. Der See breitete sich nach allen Seiten weit aus, und es lebten Fische in Hülle und Fülle darin. Der Adler fand hier stets genug Nahrung. Doch noch mehr als zu den Flossenträgern trieb es ihn zu den Abfallhaufen der am See gelegenen Stadt Karlon. So sauber und rein die uralte Stadt mit ihren rosafarbenen und altweißen Steinwällen sowie den gold- und silbergedeckten Dächern auch sein mochte, so hübsch und schmuck
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