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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01
Autoren: Douglass Sara
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heute fragte sie sich, ob der Kleine wirklich so prachtvoll werden würde, wie sie ursprünglich geglaubt hatte; oder ob sie nicht vielleicht einen Fehler begangen hatte.
    Die Frau biß die Zähne zusammen, um der Pein zu widerstehen, und zwang die Füße, einen Schritt nach dem anderen durch die Schneewehen zu setzen. Sie würde es schaffen. Ihr blieb auch gar nichts anderes übrig; denn sterben wollte sie nicht.
    Plötzlich schwang ein eigenartiges Wispern im Wind mit, der immer stärker blies.
    Sie blieb stehen, und jede Faser in ihrem Körper schien sich in flüssiges Feuer zu verwandeln. Die Frau schob sich mit den behandschuhten Händen eine feine Strähne aus dem Gesicht, spähte angestrengt in das Halbdunkel und lauschte auf alles Ungewöhnliche.
    Da war es wieder. Ein leises Flüstern, herangetragen vom Wind … wie ein Wispern mit Schluckauf … Skrälinge!
    »O nein«, stöhnte die Frau, und Furcht klumpte ihr den Magen zusammen. Nachdem sie für ein paar Momente wie erstarrt im Schnee gestanden hatte, zerrte sie an den hinderlichen Gurten, mit denen das Holzbündel am Rücken befestigt war. Sie mußte die Last unbedingt loswerden. Ihre einzige Aussicht, mit dem Leben davonzukommen, bestand darin, schneller als die Skrälinge zu laufen. Sie mußte die Bäume vor ihnen erreichen. Im Wald gefiel es ihnen nicht.
    Aber in ihrem hochschwangeren Zustand konnte sie nicht rennen. Und erst recht nicht mit einem so zornigen Kind im Leib.
    Endlich hatte sie die Gurte von den Schultern gelöst, und das Holz fiel um sie herum zu Boden. Sofort ging sie los, stolperte schon nach den ersten Schritten und fiel der Länge nach hin. Der Aufprall traf sie hart, preßte ihr die Luft aus der Lunge, und sie spürte einen stechenden Schmerz im Bauch. Der Säugling trat wütend um sich.
    Der Wind trug wieder das Wispern heran. Und es klang schon viel näher.
    Ihr blieb nichts anderes übrig, als hilflos im Schnee herumzurudern, verzweifelt zu versuchen, wieder zu Atem zu kommen und am trügerischen Boden nach einem Halt für die Hände oder einem Tritt für die Füße zu suchen.
    Leises, gluckerndes Lachen, das sich im pfeifenden Wind nur matt vernehmen ließ, ertönte wenige Schritte links von ihr.
    Die Frau schluchzte jetzt vor Angst, kam irgendwie wieder hoch und hatte keinen anderen Wunsch, als die Sicherheit des Waldes zu erreichen.
    Schon nach zwei Schritten hörte sie wieder das Flüstern, diesmal unmittelbar hinter ihr. Sie wollte schon schreien, aber das Kind trat ihr so unvermittelt und heftig ins Zwerchfell, daß ihr ebenso wie zuvor nach dem Sturz die Luft wegblieb.
    Und dann, um so entsetzlicher, erklang das Wispern vor ihr.
    »Schönchen, Schönchen … Lecker, lecker …« Das formlose Gesicht des geisterhaften Wesens tauchte für einen Moment im fahlen Licht auf. Seine silbrigen großen Augen glühten so intensiv, daß es der Frau durch Mark und Bein ging, und seine zahnbewehrten Kiefer waren fraßlüstern geöffnet.
    Danach fand sie Luft genug, um einen Schrei auszustoßen. Der Laut zerriß das Dämmerlicht, und sie stolperte verzweifelt nach rechts, kämpfte sich durch den Schnee und ruderte mit den Armen, um die Feinde abzuwehren. Dabei schwante ihr längst, daß sie schon so gut wie verloren war. Die Wesen nährten sich ebenso von Furcht wie von Fleisch, und in dem Maße, wie ihre Angst stärker wurde, wuchsen auch die Geister. Sie spürte, wie alle Kraft sie verließ. Schon bald würden die Wesen sie jagen, sie verhöhnen und alles aus ihr heraussaugen, bis selbst das Entsetzen vergangen wäre. Und dann würden sie sich über ihren Leib hermachen.
    Das Kind wütete in ihrem Bauch, als wolle es dem Gefängnis ihres armseligen, zum Untergang verurteilten Körpers entkommen. Und dennoch mühte die Frau sich weiter voran. Der Säugling hieb mit Fäustchen, Füßchen und Ellenbogen um sich. Jedesmal, wenn das schreckliche Wispern der Geister ihn durch das Fruchtwasser erreichte, wand er sich stärker und hieb noch zorniger um sich.
    Auch wenn der Frau nur zu bewußt war, wie schlecht es um sie stand, trieb der kreatürliche Überlebenswille sie doch voran. Weiter schob sie sich durch die Schneewehen, bei jedem Schritt keuchte und schnaufte sie, und ständig hinderten Krämpfe sie am Vorwärtskommen, weil der Säugling wieder gegen die Mauern seines Gefängnisses trat. Doch mittlerweile hatte der Drang zu entkommen das Kind ebenso stark erfaßt wie seine Mutter.
    Die fünf Wesen hielten sich noch etwas zurück und
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