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Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Titel: Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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kosmischer Angst zu wundern. Sie hat immer existiert, und sie wird immer existieren; und es lässt sich kein besserer Beweis für ihre anhaltende Kraft anführen als die Tatsache, dass Autoren, die im übrigen völlig entgegengesetzte Interessen verfolgten, sich ab und an getrieben fühlten, mit vereinzelten Werken ihr Talent in diesem Genre zu erproben - als ob sie ihren Kopf von gewissen gespenstischen Gestalten befreien wollten, die sie sonst verfolgen würden. So schrieb Dickens mehrere unheimliche Geschichten, Browning schrieb das schaurige Gedicht CHILDE ROLAND, Henry James schrieb THE TURN OF THE SCREW, Dr. (Oliver Wendeil) Holmes den subtilen Roman ELSIE VENNER, F. Marion Crawford schrieb neben einer Anzahl weiterer Beispiele THE UPPER BERTH; von der Sozialreformerin Charlotte Perkins Gilman gibt es THE YELLOW WALL PAPER, während der Humorist W.W. Jacobs das gelungene kleine melodramatische Werk THE MONKEY'S PAW verfasst hat.
    Diese Art von Angst-Literatur darf nicht verwechselt werden mit einer Art, die ihr äußerlich zwar ähnelt, psychologisch jedoch von ihr sich ziemlich unterscheidet, und das ist die Literatur der bloß körperlichen Furcht und des auf Erden angesiedelten Grauens. Derartiges Schreiben hat natürlich seinen Platz in der Literatur, und das gilt auch für die konventionelle oder gar schrullige oder humoristische Geistergeschichte, in der die formale Gestaltung oder der augenzwinkernd wissende Hinweis des Autors das wahre Gefühl des morbid Unnatürlichen aus dem Wege räumt; doch diese Dinge gehören nicht zur Literatur kosmischer Angst in ihrem reinsten Sinne. Die wahrhaft unheimliche (WEIRD) Erzählung bietet mehr als heimlichen Mord, blutige Gerippe oder eine weißverhüllte Gestalt, die - den Regeln gehorchend - mit Ketten rasselt. Eine gewisse Atmosphäre atemberaubender und unerklärlicher Furcht vor äußeren, unbekannten Mächten muss schon vorhanden sein; und ausgedrückt werden muss auch mit dräuendem Ernst, der dem Gegenstand angemessen ist, eine Ahnung von der schrecklichsten Vorstellung, auf die das Menschenhirn kommen kann - und das ist die unheilvolle und begrenzte Aufhebung oder gar Ausschaltung jener ehernen Naturgesetze, die unser einziger Schutz und Schirm vor den Anschlägen des Chaos und der Dämonen des unausgeloteten Weltalls sind.
    Natürlich dürfen wir nicht erwarten, dass alle unheimlichen Erzählungen irgendwelchem theoretischen Modell absolut entsprechen. Die schöpferischen Geister sind ungleichartig, und selbst die besten Gewebe haben ihre fadenscheinigen Stellen. Darüber hinaus sind viele der erlesensten Unheimlichkeiten in der Literatur unbewusster Art, und sie tauchen auf als denkwürdige Fragmente verstreut in Werken, deren Gesamtwirkung von ganz anderer Prägung sein mag. Atmosphäre ist die Hauptsache, denn das letztendliche Kriterium der Authentizität ist nicht das Knüpfen eines Handlungsfadens, sondern die Schaffung einer bestimmten Empfindung. So können wir ganz allgemein sagen, dass eine unheimliche Geschichte, deren Absicht es ist, zu belehren oder eine soziale Wirkung hervorzurufen, oder eine, in der das Grauen schließlich auf natürliche Weise wegerklärt wird, keine genuine Erzählung von kosmischer Angst ist; doch bleibt die Tatsache bestehen, dass solche Geschichten in einzelnen Abschnitten oft atmosphärische Züge aufweisen, die jede Bedingung einer wahren Literatur des Übernatürlichen erfüllen. Deshalb dürfen wir eine unheimliche Erzählung nicht nach den Intentionen des Autors oder der Mechanik der Handlung beurteilen, sondern müssen uns vielmehr an den Grad intensiven Gefühls halten, den sie an ihrem unirdischsten Punkt erreicht. Wenn die richtigen Empfindungen geweckt werden, muss man einen solchen »Höhepunkt« seinen eigenen Qualitäten entsprechend als unheimliche Literatur gelten lassen, ganz egal, in welche prosaische Tiefen er später hinabgezogen wird. Es gibt nur einen einzigen Prüfstein für das wahrhaft Unheimliche: ob im Leser ein tiefes Gefühl der Furcht geweckt wird, ein Gefühl der Berührung mit unbekannten Sphären und Mächten, eine subtile Haltung schaudernden Lauschens, wie wenn man auf das Flattern schwarzer Flügel oder auf das Kratzen von Gestalten und Wesen von außen, vom äußersten Rand des unbekannten Universums horchte. Und selbstverständlich: je vollkommener und geschlossener eine Geschichte diese Atmosphäre vermittelt, desto besser ist sie als Kunstwerk in dem gegebenen Genre.
 

    2. DIE
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