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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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jemanden.«
    »Wen denn?«, wollte ich verwirrt wissen. »Gehen wir zu …«
    »Freunde von mir«, unterbrach mich Madar. »Wir sind schon spät dran, bitte beeilt euch.«
    »Madar«, sagte Masoud, während Milad mit enttäuschter Miene von der Fensterbank herunterkletterte, »wir müssen für unser Diktat morgen üben. Ich hole meine Schulsachen, damit du uns gleich etwas diktieren kannst.« Er wollte schon loslaufen, um seinen Schulranzen zu holen, als unsere Mutter ihren Arm um seine Schulter legte, wobei ich nicht sagen konnte, ob sie ihn streicheln oder festhalten wollte. Sie zeigte nur mit der Hand auf seine Schuhe, die ordentlich neben der Haustür lagen: »Jetzt nicht! Wir haben keine Zeit dafür. Unten wartet schon ein Ajans , das uns hinfahren wird. Beeilt euch!«
    In diesem Moment wurde Milad aufmerksam, der bis dahin still und mit gesenktem Kopf neben seinen Schuhen auf uns gewartet hatte. »Wieso ein Ajans ? Kommt Pedar nicht mit? Er kann uns doch fahren.«
    »Er kommt später nach«, grummelte Madar, ohne Milad anzusehen. Sie warf noch einen kontrollierenden Blick auf uns und vergewisserte sich, dass wir fertig waren, und schon öffnete sie die Wohnungstür: »Kommt!«
    Eigentlich wollte ich sie fragen, warum sie es so eilig hatte, warum sie sich so komisch benahm und warum wir nicht einmal unsere Schulsachen mitnehmen durften, aber ich ging schweigend hinaus. Wir gehorchten Madar immer, vor allem, wenn wir merkten, dass ihr etwas besonders wichtig war. Sie zog die Tür hinter sich zu und lief mit schnellen Schritten voran. Wir folgten ihr. Dabei musste ich an Küken denken, die mit ihrer Mutter vor etwas davonrannten. So wie bei unseren Familienreisen aufs Land, wenn wir drei versuchten, die freilaufenden Hühner zu fangen.
    Unten auf dem Parkplatz wartete wirklich ein Ajans , ein iranisches Ruftaxi, auf uns. Es war ein Peykan, eigentlich wie alle Ajans . Aber auch sonst war jedes zweite Auto auf Teherans Straßen ein Peykan. Er sei sehr beliebt, hatte Pedar mir erzählt, weil er recht günstig und trotzdem langlebig sei, aber wer es sich leisten könne, kaufe ein ausländisches Modell, um sich von den anderen abzuheben. Unser Vater fuhr auch einen dunkelblauen Peykan.
    Madar setzte sich auf den Beifahrersitz und wir drei nahmen auf dem Rücksitz Platz. » Salam , Punak darbast .«
    Punak war ein Stadtteil im Norden Teherans. Ich fragte mich, wo Madar mit uns hinwollte, denn dort kannte ich niemanden. Und sie musste es wirklich eilig haben, denn darbast bedeutete, dass das Taxi uns direkt, ohne zwischendurch für weitere Fahrgäste anzuhalten, zum Ziel fahren musste. Wir drei hatten schon oft zu viert oder zu fünft auf der Rückbank gesessen. Wir waren noch klein und je mehr Leute mitfuhren, desto günstiger wurde das Taxi. Aber heute war ihr das Geld wohl egal.
    Das Ajans setzte sich in Bewegung und nach dreißig Minuten, in denen Madar kein Wort gesprochen und unsere Fragen mit einer stummen Geste unterbunden hatte, erreichten wir im Halbdunkeln das Haus, auf dessen Hof wir nun standen.
    Milad hatte mittlerweile die Taschenlampe ausgeknipst. Und es dauerte nicht mehr lange, bis unsere Mutter und die Frau ihr Gespräch beendeten und zu uns kamen. Ich hielt es nicht mehr aus: »Madar, wo sind wir hier?«
    Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und sagte in einem warmen Ton: »Bei Chaleh Laleh und Amu Haschem. Das sind sehr gute Freunde von mir.«
    Die kleine Frau war also Chaleh Laleh. Sie lächelte, beugte sich nacheinander zu jedem von uns und küsste uns auf die Wangen. » Choschamadid , Batscheha! Fühlt euch wie zu Hause.«
    Sie roch nach Reis und Hähnchen. Wahrscheinlich hatte sie gerade das Abendessen zubereitet. Ihr Lächeln und die Lachfältchen, die sich um ihre Augen schmiegten, verliehen ihr ein lebendiges und freundliches Aussehen, sodass ich mich innerlich spottend fragte: Warum hattest du Feigling vorhin am Metalltor eigentlich solche Angst?
    »Lasst uns reingehen«, schlug Chaleh Laleh vor. »Ich habe Sereschk-Polo gekocht. Ihr habt bestimmt großen Hunger.«
    Sie ging die vier Stufen bis zur Haustür hinauf und wir folgten ihr. Obwohl das Haus mit seinem gepflasterten Hof und dem sehr sauberen, hellen Putz der Wände nach einem modernen Neubau aussah, war die Tür in einem traditionellen Stil gehalten, den ich aus iranischen Dörfern kannte. Ihr dunkles Holz wirkte massiv und war an den Rändern mit geschnitzten Blumen und geschwungenen Formen verziert. In der Mitte hing ein
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