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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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streifte Pascale mit funkelndem Blick. »Im Moment brauchen Sie alle Verbündeten, die Sie nur finden können, Dr. Sylveste.«
    »Soll das eine Drohung sein?«
    »Nur eine Feststellung. Wenn Sie sich mehr darum kümmern würden, was in der Kolonie vorgeht, dann wüssten Sie, dass Girardieu es schon seit langem auf Sie abgesehen hat. Und wie man hört, will er sehr viel früher zuschlagen, als Sie denken.«
    Er spürte ein Kribbeln im Nacken. »Wovon reden Sie da?«
    »Von einem Umsturz, was sonst?« Sluka drängte sich an ihm vorbei zur Seitenwand und setzte den Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter. Dann drehte sie sich noch einmal um und wandte sich an die beiden anderen Studenten, die sich tief über ihre Arbeit beugten und offenbar nichts anderes im Sinn hatten, als den Obelisken freizulegen. »Macht ruhig weiter, so lange ihr wollt, aber sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Wenn ihr nicht wisst, was es heißt, in einen Schmirgelsturm zu geraten, dann braucht ihr euch nur Sylveste anzusehen.«
    Einer der Studenten schaute auf und fragte schüchtern: »Wo gehst du hin, Sluka?«
    »Ich will mit den anderen Teams reden. Vielleicht haben noch nicht alle die Sturmwarnung gehört. Ich glaube nicht, dass viele um jeden Preis hier bleiben wollen, wenn sie erst Bescheid wissen.«
    Sie machte sich an den Aufstieg, aber Sylveste hielt sie an der Ferse eines Mukluk fest. Sluka schaute auf ihn nieder. Sie hatte die Maske wieder angelegt, aber Sylveste sah die Verachtung in ihrem Blick. »Sie sind erledigt, Sluka.«
    »Nein«, sagte sie und kletterte weiter. »Ich fange gerade erst an. An Ihrer Stelle würde ich mir um mich selbst Sorgen machen.«
    Sylveste horchte in sich hinein und stellte fest, dass er vollkommen ruhig war. Damit hatte er ganz und gar nicht gerechnet. Aber es war die Ruhe über den metallisch glänzenden Wasserstoffmeeren der Gasriesen in größerer Entfernung von Pavonis – eine Ruhe, die nur durch mörderischen Druck von oben und unten aufrechterhalten wurde.
    »Nun?«, fragte Pascale.
    »Ich muss mit jemandem reden«, sagte Sylveste.
 
    Sylveste stieg die Rampe zu seinem Schlepper hinauf. Die andere Maschine war vollgepfropft mit Regalen und Probenbehältern. Dazwischen hingen in schmalen Nischen die Hängematten der Studenten. Sie mussten in den Fahrzeugen schlafen, weil die Grabung – wie einige andere im Bezirk – mehr als eine Tagereise weit von Mantell entfernt war. Sylvestes Schlepper war um einiges komfortabler ausgestattet. Sein Schlaf- und Wohnbereich nahm mehr als ein Drittel des Innenraums ein. Der Rest wurde als zusätzlicher Frachtraum genützt, außerdem waren zwei bescheidene Kabinen für höherrangige Mitarbeiter und für Gäste vorhanden. Hier schliefen sonst Sluka und Pascale. Im Augenblick hatte er jedoch den ganzen Raum für sich allein.
    Die feudale Einrichtung der Kabine täuschte darüber hinweg, dass man sich in einem Schlepper befand. Alles war mit rotem Samt ausgeschlagen, auf den Regalen standen Reproduktionen wissenschaftlicher Instrumente und archäologischer Funde. Große, kunstvoll beschriftete Mercator-Karten von Resurgam, auf denen alle größeren Amarantin-Fundstätten verzeichnet waren, zierten die Wände; andere Flächen waren mit Texten bedeckt, die sich langsam aktualisierten: hier entstanden wissenschaftliche Aufsätze. Mittlerweile erledigte Sylvestes Beta-Sim die meisten Routinearbeiten selbständig; er hatte die Simulation so ausgebildet, dass sie seinen persönlichen Stil zuverlässiger imitierte, als er selbst bei den momentanen Ablenkungen dazu imstande gewesen wäre. Sobald er Zeit dazu fand, musste er wohl oder übel Korrektur lesen, doch jetzt gönnte er den Texten nur einen flüchtigen Blick, dann trat er an seinen Schreibsekretär. Der pompöse Aufsatz aus Marmor und Malachit war mit japanischen Lackintarsien geschmückt, die Szenen aus der Frühzeit der Raumfahrt zeigten.
    Sylveste zog eine Schublade auf und entnahm ihr eine Simulationskassette, eine unbeschriftete graue Tafel, die aussah wie eine Keramikfliese. In der Platte des Schreibpults befand sich ein Schlitz. Er brauchte die Kassette nur einzuführen, um Calvin erstehen zu lassen. Trotzdem zögerte er. Seit er Calvin zum letzten Mal von den Toten auferweckt hatte, war viel Zeit vergangen – auf jeden Fall mehrere Monate. Aber jene Begegnung hatte einen so katastrophalen Verlauf genommen, dass er sich geschworen hatte, Calvin nur noch in einer schweren Krise zu rufen. Jetzt
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