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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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Zeichen göttlichen Missfallens gedeutet hätten – aber sie hätten keine Zeit gehabt, dieser Überzeugung vor ihrem Tod noch in irgendeiner Form dauerhaft Ausdruck zu verleihen oder gar bei der Beisetzung ihrer Toten Rücksicht auf künftige Archäologen einer anderen Spezies zu nehmen.« Sie zog sich die Kapuze über den Kopf und band sie zu – feine Staubschleier kamen in die Grube herabgeschwebt, und die Luft war nicht mehr so unbewegt wie noch vor wenigen Minuten. »Aber Sie sind da anderer Ansicht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, lüftete sie ihre Stirnfransen und zog sich eine riesige Schutzbrille über die Augen. Dann schaute sie auf das Objekt hinab, das nun allmählich zum Vorschein kam.
    Pascale sah durch ihre Schutzbrille die Daten der Gravitationsscanner, die um das Wheeler-Gitter herum postiert waren, und darunter im Normalmodus eine stereoskopische Ansicht vergrabener Massen. Sylveste brauchte nur seinen Augen einen entsprechenden Befehl zu geben, und der Boden, auf dem sie standen, wurde glasig und verlor an Substanz. In der trüben Matrix wurde ein riesiges Objekt sichtbar, ein Obelisk – ein behauener Felsblock von mehr als zwanzig Metern Höhe, der von mehreren Steinsarkophagen umgeben war. Bislang hatte man nur wenige Zentimeter der Oberseite freigelegt. An einer Seite war eine Inschrift in den üblichen Schriftzeichen der späten Amarantin-Phase zu erkennen. Aber die Auflösung der Gravitationsscanner reichte nicht aus, um den Text lesbar zu machen. Solange sie den Obelisken nicht vollends ausgegraben hatten, würden sie nicht mehr erfahren.
    Sylveste schaltete seine Augen auf Normalbetrieb zurück. »Beeilt euch«, ermahnte er seine Studenten. »Kleinere Beschädigungen der Oberfläche kümmern mich nicht.
    Aber ich möchte, dass bis heute Abend mindestens ein Meter von dem Ding zu sehen ist.«
    Einer der jungen Leute drehte sich zu ihm um, ohne sich von den Knien zu erheben. »Sir, wir haben gehört, die Grabung müsse aufgegeben werden.«
    »Warum, in aller Welt, sollte ich eine Grabung aufgeben?«
    »Wegen des Sturms, Sir.«
    »Zum Teufel mit dem Sturm.« Er wollte sich schon abwenden, doch Pascale packte mit etwas zu festem Griff seinen Arm.
    »Ihre Besorgnis ist berechtigt, Dan.« Sie sprach so leise, dass nur er sie verstehen konnte. »Ich habe die Warnung auch gehört. Wir sollten nach Mantell zurückfahren.«
    »Dann geht hier alles verloren!«
    »Wir kommen zurück.«
    »Selbst wenn wir einen Transponder versenken, finden wir die Stelle womöglich nie wieder.« Er wusste, dass er im Recht war: die Grabung war nicht gesichert, und die Karten für diese Gegend waren nicht sonderlich genau; man hatte sie in aller Eile zusammengestellt, als die Lorean vor vierzig Jahren von Yellowstone kommend in die Umlaufbahn gegangen war. Seit bei der Meuterei zwanzig Jahre später – als sich die Hälfte der Kolonisten zusammenrottete, um das Schiff in ihre Gewalt zu bringen und damit nach Hause zu fliegen – der Satellitengürtel zerstört worden war, gab es keine Möglichkeit mehr, auf Resurgam exakte geografische Positionsbestimmungen vorzunehmen. Und in einem Schmirgelsturm hatte schon so mancher Transponder versagt.
    »Trotz allem lohnt es sich nicht, für eine Ausgrabung Menschenleben aufs Spiel zu setzen«, sagte Pascale.
    »Für diese Ausgrabung lohnt sich vielleicht noch viel mehr.« Er schnippte mit den Fingern. »Schneller«, rief er den Studenten zu. »Nehmt notfalls den Servomaten. Bis morgen früh will ich die Oberseite dieses Obelisken sehen.«
    Sluka, seine dienstälteste Studentin, murmelte etwas vor sich hin.
    »Wollten Sie noch etwas sagen?«, fragte Sylveste.
    Sluka stand auf – wahrscheinlich zum ersten Mal seit mehreren Stunden. Die Anspannung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Die kleine Spachtel, mit der sie gearbeitet hatte, fiel zu Boden und blieb neben ihren Füßen liegen, die in Eskimoschuhen, so genannten Mukluks steckten. Sie riss sich die Maske vom Gesicht und atmete für ein paar Sekunden Resurgam-Luft. »Wir müssen miteinander reden«, sagte sie.
    »Worüber, Sluka?«
    Sluka nahm ein paar Atemzüge durch die Maske, dann fuhr sie fort. »Sie wollen das Glück erzwingen, Dr. Sylveste.«
    »Sie haben das Ihre soeben verspielt.«
    Sie überhörte die Bemerkung. »Ihre Arbeit bedeutet uns viel, und das wissen Sie. Wir teilen Ihre Überzeugungen. Deshalb sind wir hier und rackern uns für Sie ab. Aber Sie sollten das nicht für selbstverständlich halten.« Sie
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