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...und noch ein Küsschen!

...und noch ein Küsschen!

Titel: ...und noch ein Küsschen!
Autoren: Roald Dahl
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Lippen waren zusammengepresst, und die Hände hatte sie ineinandergekrampft. Die komische Haube auf ihrem Kopf und derschmale weiße Schürzenlatz ließen sie wie ein zerzauster, weißbrüstiger Vogel erscheinen.
    «Sie haben die Brille in Mr.   Schofields Arbeitszimmer liegengelassen», sagte sie mit betonter, unnatürlicher Höflichkeit. «Auf dem grünen Karteikasten, Sir, als Sie vor dem Essen allein im Arbeitszimmer waren.»
    Es dauerte einige Zeit, bis wir die volle Bedeutung ihrer Worte erfassten, und in dem Schweigen, das folgte, bemerkte ich, wie sich Mike langsam im Stuhl aufrichtete. Sein Gesicht bekam wieder Farbe, die Augen öffneten sich weit, der Mund wurde hart, und der gefährliche weiße Fleck in der Nähe der Nasenflügel begann sich auszubreiten.
    «Bitte, Michael!», flehte seine Frau. «Bleib ruhig, Lieber! Bleib ganz ruhig!»

Lammkeule
    Das Zimmer war aufgeräumt und warm, die Vorhänge waren zugezogen, die beiden Tischlampen brannten – ihre und die vor dem leeren Sessel gegenüber. Zwei hohe Gläser, Whisky und Sodawasser auf dem Büfett hinter ihr. Frische Eiswürfel im Thermoskübel.
    Mary Maloney wartete auf ihren Mann, der bald von der Arbeit nach Hause kommen musste.
    Hin und wieder warf sie einen Blick auf die Uhr, aber ohne Ungeduld, nur um sich an dem Gedanken zu erfreuen, dass mit jeder Minute der Zeitpunkt seiner Heimkehr näher rückte. Eine heitere Gelassenheit ging von ihr aus und teilte sich allem mit, was sie tat. Die Art, wie sie den Kopf über ihre Näharbeit beugte, hatte etwas Beruhigendes. Sie war im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, und ihre Haut wies eine wunderbare Transparenz auf, der Mund war weich, die Augen mit ihrem neuen zufriedenen Blick wirkten größer und dunkler als zuvor.
    Um zehn Minuten vor fünf begann sie zu lauschen, und wenig später, pünktlich wie immer, knirschten draußen die Reifen auf dem Kies. Die Wagentür wurde zugeschlagen, vor dem Fenster erklangen Schritte, und dann drehte sich der Schlüssel im Schloss. Sie legte die Handarbeit beiseite, stand auf und ging zur Tür, um ihn mit einem Kuss zu begrüßen.
    «Hallo, Liebling», sagte sie.
    «Hallo», antwortete er.
    Sie nahm seinen Mantel und hängte ihn in den Schrank. Dann machte sie am Büfett die Drinks zurecht – einen ziemlich starken für ihn und einen schwachen fürsich   –, und bald saßen sie in ihren Sesseln einander gegenüber, sie mit der Näharbeit, während er die Hände um das hohe Glas gelegt hatte und es behutsam hin und her bewegte, sodass die Eiswürfel leise klirrten.
    Für sie war dies immer die glücklichste Zeit des Tages. Sie wusste, dass er nicht gern sprach, bevor er das erste Glas geleert hatte, und sie selbst genoss es, ruhig dazusitzen und sich nach den langen Stunden der Einsamkeit in seiner Nähe zu wissen. Sie liebte es, sich ganz auf die Gegenwart dieses Mannes zu konzentrieren und – wie man bei einem Sonnenbad die Sonne fühlt – jene warme männliche Ausstrahlung zu fühlen, die von ihm ausging, wenn sie beide allein waren. Sie liebte die Art, wie er sich lässig im Sessel zurücklehnte, die Art, wie er zur Tür hereinkam oder langsam mit großen Schritten das Zimmer durchquerte. Sie liebte den angespannten, gedankenverlorenen Blick, mit dem seine Augen oft auf ihr ruhten, die charakteristische Form seines Mundes und vor allem die Art, wie er über seine Müdigkeit schwieg und still dasaß, bis der Whisky ihn etwas aufgemuntert hatte.
    «Müde, Liebling?»
    «Ja», sagte er, «ich bin müde.» Und bei diesen Worten tat er etwas Ungewöhnliches. Er hob sein Glas und leerte es auf einen Zug, obgleich es noch halb voll, mindestens noch halb voll war. Sie sah es nicht, aber sie wusste, was er getan hatte, denn sie hörte die Eiswürfel auf den Boden des leeren Glases fallen, als er den Arm senkte. Er beugte sich im Sessel vor, zögerte einen Augenblick, stand dann auf und ging zum Büfett, um sich noch einen Whisky einzuschenken.
    «Lass mich das doch machen!», rief sie und sprang hilfsbereit auf.
    «Setz dich hin», sagte er.
    Als er zurückkam, verriet ihr die dunkle Bernsteinfarbedes Drinks, dass er sehr viel Whisky und sehr wenig Wasser genommen hatte. «Liebling, soll ich dir deine Hausschuhe holen?»
    «Nein.»
    Sie beobachtete, wie er das tiefbraune Getränk schlürfte. Es war so stark, dass sich in der Flüssigkeit kleine ölige Wirbel bildeten.
    «Eigentlich», meinte sie, «ist es doch eine Schande, dass ein Polizist, der so viele
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