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...und noch ein Küsschen!

...und noch ein Küsschen!

Titel: ...und noch ein Küsschen!
Autoren: Roald Dahl
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wir eliminieren, auch nicht schwer zu bestimmen sein. Margaux? Nein, ganz gewiss kein Margaux. Er hat nicht das feurige Bouquet eines Margaux. Pauillac? Nein, auch kein Pauillac. Dafür ist er zu zart, zu mild und schmachtend. Der Wein aus Pauillac hat einen Geschmack, der fast herrisch in seinem Charakter ist. Und bei einem Pauillac schmecke ich auch immer ein gewisses Aroma heraus, ein eigenartig erdiges, kerniges Aroma, das die Rebe aus dem Boden jener Gegend annimmt. Nein, nein. Dies – dies ist ein sehr zarterWein, zurückhaltend und keusch, der sich beim zweiten Schmecken zaghaft, aber sehr anmutig entfaltet. Ein bisschen schelmisch vielleicht beim zweiten Schmecken und auch ein bisschen unartig, da er die Zunge mit einer Spur, einer winzigen Spur von Gerbsäure neckt. Und im Nachgeschmack ist er köstlich – besänftigend und weiblich, mit einer gewissen heiteren Freigebigkeit, die man nur bei Weinen der Gemarkung Saint-Julien findet. Ohne Frage, dies ist ein Saint-Julien.»
    Richard Pratt lehnte sich zurück, hielt die Hände in Brusthöhe und legte die Fingerspitzen sorgfältig gegeneinander. Er benahm sich lächerlich anmaßend, aber das war wohl Absicht – er wollte seinen Gastgeber verspotten. Ich war ziemlich gespannt, wie es weitergehen würde. Louise zündete sich eine Zigarette an. Pratt hörte das Zischen des aufflammenden Streichholzes und fuhr herum, plötzlich von Wut gepackt. «Bitte!», rief er. «Bitte, unterlassen Sie das! Es ist eine widerliche Angewohnheit, bei Tisch zu rauchen.»
    Sie schaute ihn an, das brennende Streichholz noch in der Hand; der Blick ihrer großen, ruhigen Augen heftete sich auf sein Gesicht, verweilte dort einige Sekunden und entfernte sich dann langsam und verächtlich. Sie senkte den Kopf und blies das Streichholz aus, behielt jedoch die unangezündete Zigarette zwischen den Fingern.
    «Entschuldigen Sie, meine Liebe», sagte Pratt, «aber ich kann es einfach nicht ertragen, wenn bei Tisch geraucht wird.»
    Diesmal schaute sie ihn nicht an.
    «Nun, lassen Sie mich sehen – wo waren wir stehengeblieben?», sprach er weiter. «Ach ja. Dieser Wein ist also aus Bordeaux, aus der Gemarkung Saint-Julien in Médoc. Gut und schön. Aber jetzt kommen wir zu dem schwierigsten Teil – dem Namen des Weinguts. Denn inSaint-Julien gibt es sehr viele Weingüter, und wie unser Gastgeber vorhin so treffend und richtig bemerkte, ist der Unterschied zwischen dem Wein des einen und dem des anderen oft recht geringfügig. Und trotzdem   …»
    Er hielt inne und schloss die Augen. «Ich versuche, die ‹Lage› zu bestimmen», erklärte er. «Wenn mir das gelingt, ist die Schlacht schon halb gewonnen. Einen Moment bitte   … Dies ist offenbar kein Wein erster Lage – nicht einmal zweiter. Es ist kein großer Wein. Ihm fehlt die Qualität, das   … das – wie soll ich sagen? – das Feuer, die Kraft. Aber eine dritte Lage – das könnte sein. Und doch bezweifle ich es. Wir wissen von unserem Gastgeber, dass es ein guter Jahrgang ist, und das schmeichelt dem Wein vermutlich etwas. Ich muss vorsichtig sein. Ich muss hier sehr vorsichtig sein.»
    Er hob sein Glas und nahm einen kleinen Schluck.
    «Ja», sagte er, mit den Lippen schmatzend. «Ich hatte recht. Es ist ein Wein vierter Lage. Jetzt bin ich sicher. Ein Wein vierter Lage von einem sehr guten Jahrgang, sogar von einem ganz großen Jahrgang. Deswegen schmeckte er im ersten Augenblick wie ein Wein dritter oder sogar zweiter Lage. Gut! Ausgezeichnet! Wir kommen der Sache schon näher. Was für Weingüter vierter Lage gibt es in der Gemarkung Saint-Julien?»
    Wieder hob er das Glas und hielt den Rand an seine weiche, vorgewölbte Unterlippe. Ich sah die Zungenspitze hervorschießen, rosa und schmal, in den Wein tauchen und zurückschnellen – ein abstoßender Anblick. Mit geschlossenen Augen setzte er das Glas ab. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck schärfster Konzentration; nur die fleischigen Lippen bewegten sich, glitten übereinander wie zwei feuchte Schwammstücke.
    «Da ist es wieder!», rief er. «Gerbsäure im Mittelgeschmack und dieses Gefühl, als zöge die Zunge sichleicht zusammen. Ja, ja, natürlich! Jetzt hab ich’s! Der Wein kommt von einem der kleinen Güter um Beychevelle. Ich erinnere mich deutlich   … Die Gegend um Beychevelle   … der Fluss   … der kleine Hafen, der so verschlammt ist, dass die Weinkähne ihn nicht mehr benutzen können. Beychevelle   … Vielleicht sogar ein Beychevelle
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