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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein
Autoren: Joerg Boehm
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Klassenkameraden auch, scheiden lassen, obwohl sie und ihr Bruder Erik alles dafür getan hatten, dass die heile Welt, die ihnen stets vorgegaukelt wurde, nicht aus den Fugen geriet.
    Doch alles Bitten und Betteln, Jammern und Lamentieren hatte nichts geholfen, die Ehe war auseinandergegangen, weil ihr Vater lieber mit einer Jüngeren die Welt bereisen wollte als mit ihrer Mutter. So jedenfalls hatte es Emmas Oma Leni ihr vor einigen Jahren erzählt.
    Sie fuhr langsamer und schaltete vorsichtshalber schon einmal einen Gang herunter, um die Abzweigung von der B 500 in Richtung Weilheim nicht zu verpassen. An der nur wenige Meter entfernten Tankstelle herrschte Hochbetrieb, denn erst heute Morgen hatte der Ölpreis wieder um einige Dollar nachgegeben und die hiesigen Preise waren gleich um drei Cent gefallen.
    So hatte sie nach dem Verlust ihres Vaters um die Liebe ihrer Mutter gekämpft, bis sie eines Tages resigniert feststellen musste, dass es keinen Platz für sie im Herzen ihrer Mutter gab, denn für Marit Hansen zählte immer nur Emmas Bruder Erik.
    Erik. Ihr drei Jahre älterer Bruder, der sich als zweifacher Familienvater mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt und das Leben so nahm, wie es kam: Am Morgen geht die Sonne auf, am Abend geht sie unter und dazwischen schauen wir, was der Tag so alles für einen bereithält. Dass ihre Eltern und vor allem ihre Mutter mit Eriks Lebenskunst nichts anfangen konnten, war das eine. Dass sie Emmas Eigenschaften lieber in ihrem Sohn vereint gesehen hätten, das stand auf einem ganz anderen Blatt. Und es war eben die Tochter, die genau das auf so unterschiedliche Arten zu verstehen bekam.
    â€žAber wer hört denn Muttern zu, wenn sie sich in ihrem Liebeskummer mal wieder so richtig suhlen will, und wer fährt zu ihr hin, wenn sie wieder droht, sich umzubringen, weil sie nicht mehr weiterweiß? Doch das zählt ja alles nicht. Warum auch“, sagte Emma laut zu sich.
    Doch das Schlimmste ist, dass ich mir immer wieder anhören darf, was aus mir hätte werden können, wenn ich mich nur etwas mehr angestrengt hätte. Ärztin. Rechtsanwältin. Ja vielleicht sogar Professorin, dachte sie und äffte ihre Mutter nach, die keine Möglichkeit ausließ, Emmas aus ihrer Sicht falsche Berufswahl unter die Nase zu reiben.
    Mein Weg war eben ein anderer. Ich wollte immer zur Polizei, zur Kripo, dachte Emma und musste bei dem Gedanken daran automatisch an ihren geliebten Opa denken, der einst Kommissar bei der Kopenhagener Mordkommission gewesen war. Sie lächelte, während sie für einen kurzen Moment in den Rückspiegel sah. Große, wache, blaue Augen strahlten sie an, die von einer fein geschnittenen Nase und einer breiten Denkerstirn eingerahmt wurden. Ihre Lippen waren voll, wenn auch heute etwas blass, wie sie sich eingestehen musste. Dafür glänzte auch an diesem tristen Novembertag ihr Haar in einem hellen und typisch nordischen Blond. Doch das auffälligste Merkmal ihres Gesichtes war ihr kleines, zart modelliertes Grübchen am Kinn, das ihr nicht nur einen frech-verträumten Gesichtsausdruck verlieh, sondern das sie auch so an ihren Großvater erinnerte, hatte doch ein ebensolches seinen charismatisch-markanten Charakterkopf geziert.
    Mit einem tiefen Seufzer konzentrierte sie sich wieder auf den immer dichter werdenden Verkehr in der langsam einsetzenden Dämmerung. Sie wartete noch den Transporter einer Umzugsfirma ab, ehe sie ihren Wagen nach links lenkte, um auf die Kreisstraße in den dunklen Hain aus Fichten und Tannen abzubiegen.
    Schon damals als Teenager faszinierte Emma diese Ansammlung majestätischer Bäume, die wie ein großes schmiedeeisernes Tor ein fremdes Land beschützten und erst dann Meter für Meter zur Seite wichen, wenn der Eindringling ihnen genehm war.
    Vorsichtig steuerte sie ihren Wagen durch das kleine Wäldchen und meinte plötzlich von der Welt, aus der sie vor einer halben Minute noch gekommen war, völlig abgeschnitten zu sein.
    Wie ein großes gefräßiges Maul hatten die Fichten und Tannen sie und ihren Wagen verschluckt, um sie erst nach knapp drei Minuten wieder aus dem schwarzen Nichts auszuspucken.
    Vor ihr lagen nun die ersten Äcker, die bereits zur Gemarkung Weilheim gehörten. Wie verschrumpelt und zusammengezogen ruhte die aufgewühlte Erde auf den Feldern. Ein schwacher, weißlicher Reif kündigte schon jetzt einen
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