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Und fuehre mich nicht in Versuchung

Und fuehre mich nicht in Versuchung

Titel: Und fuehre mich nicht in Versuchung
Autoren: Vera Bleibtreu
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betrunken, schwankte an der Kapelle vorbei. Was wäre geschehen, wenn dieser Mensch hingeschaut, die Hähne gesehen, die Hand erblickt hätte? Wäre er jetzt noch am Leben? Oder auch tot? Ist es möglich, zwei Menschen umzubringen und selbst weiterzuleben? Vielleicht war alles auch gar nicht wahr? Vielleicht war alles nur ein Alptraum, und gleich käme das Aufwachen und die Erleichterung? Schließlich war nichts mehr zu sehen, alles war sauber. Die Hände, die Hände … sie fühlten sich an wie zuvor, vielleicht etwas kälter, aber es war ihnen nichts anzumerken. Niemand konnte sehen, daß diese Hände einen Menschen getötet, einen Menschen zerteilt hatten. In den Rillen der Fingerkuppen hatte sich kein Blut festgesetzt, konnte sich auch keines festgesetzt haben. Die Plastikhandschuhe waren   voller Blut, die Hände nicht. Wer würde die verschmorten Reste dieser Handschuhe im Mülleimer vor den Hochhäusern suchen, wer das Beil und das Messer im Rhein?
    Und selbst wenn sie jemand finden würde – wer könnte etwas damit anfangen? Ein kleines Beil, ein nicht allzu großes Messer – bestimmt lagen viele Messer im Rhein.
    Aber die Hände … sie waren doch verändert, fühlten sich anders an. Hatte es einen Fehler gegeben? Ach, es war alles ein Fehler gewesen, von Anfang an. Es war ein Fehler gewesen, diesem Menschen zuzuhören, als er sprach, ja, nicht nur oberflächlich zuzuhören, sondern immer gespannter. Seine Worte waren wie böse Samenkörner gewesen, die tief ins Herz gesunken waren und schreckliche Blumen hervorgebracht hatten. Tödliche Blumen.
    Wenn sie doch nie über bestimmte Dinge gesprochen hätten, dann könnte er noch leben, dann hinge seine Hand jetzt nicht an der Platane, wenn … Aber er hatte gesprochen, und seine Worte waren durch die Ohren ins Herz gedrungen und hatten böse Blumen hervorgebracht.
    Eigentlich war er schuld, wer sonst? Er war schuld, weil er die Idee gehabt hatte, weil er gesprochen hatte, weil er nicht seinen Mund gehalten hatte, weil er das gesagt und getan hatte, was er gesagt und getan hatte. Jetzt war er tot und konnte nichts mehr sagen, konnte nicht mehr böse Samenkörner säen, böse Pflanzen in Herzen wachsen lassen. Wer weiß, vielleicht war es ja gut, daß alles so gekommen war, vielleicht gibt es ja Leute, die dankbar sind, daß er nicht mehr lebt? Aber, vielleicht war auch alles nicht wahr. Denn die Hände, die sahen doch ganz aus wie zuvor.
    Unverändert. Vielleicht nur ein wenig kälter?

    * * *

    Susanne schaute sich in ihrer schönen Altbauwohnung in der Mainzer Altstadt um. Die Räume unter dem Dach waren lichtdurchflutet und zeugten von Susannes Begabung, einen Raum gemütlich einzurichten. Für Susanne war ihre Wohnung sehr wichtig, ein Refugium, ihr Ort, an dem sie Kraft tanken konnte nach einem anstrengenden Arbeitstag. Ihr Lieblingsstück war ein gemütlicher, antiker englischer Clubsessel aus hellem Leder. Sie hatte lange nach einem solchen bezahlbaren, guterhaltenen Exemplar gesucht und war nicht fündig geworden. Dieses Pracht-stück hatte sie auf einem Flohmarkt in Paris entdeckt und sofort erstanden. Sie erinnerte sich noch daran, wie mühsam es gewesen war, den Sessel auf dem Dach ihres alten Alfa Romeos zu verstauen. Das schwere Teil schien den eleganten kleinen Wagen fast zu erdrücken, auch die Zöll-ner an der Grenze hatten skeptisch geschaut und probe-weise an den Gurten gezogen. Aber Susanne hatte sorgfältig geschnürt, und so konnte sie den Transport des kostbaren Stücks unbehelligt fortsetzen. Jetzt stand er vor der trapezartig geformten Gaube ihrer Wohnung, die den Blick auf die Mainzer Altstadt freigab. Susanne liebte es, abends in ihrem Sessel zu sitzen, ein Glas Rotwein zu trinken und über die Dächer von Mainz zu blicken. Was ihre Wohnungseinrichtung betraf, hatte sie keinen bestimmten Stil, sie mixte Möbel, die ihr in Form und Farbe gefielen, mit Mitbringseln aus ihrer Zeit auf Malta und von zahl-reichen Urlaubsreisen. Viel Zeit und Mühe hatte sie darauf verwendet, passende Regale und Schränke für die schrägen Wände ihrer Wohnung zu bauen. Ihr Freund Jens Maistrom, der den Schwalbacher Hof in der Altstadt betrieb, wenige Schritte von Susannes Wohnung entfernt, hatte ihr mit seiner handwerklichen Begabung dabei sehr  geholfen. Jens war der geborene Heimwerker und ein Stammkunde aller Baumärkte der Umgebung. So manches Mal hatte Susanne schon gemault, wenn sie einen Sams-tagvormittag nicht in der freien Natur, sondern im
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