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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen
Autoren: Anna Janson
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die heidnische Zeit passen, überlegte Maria. Schäm dich, schäm dich, keiner will dich haben … Maria konnte sich vage an ein Weihnachtsfest in der ersten Klasse erinnern, als jede sich einen gesucht hatte und ein kleiner Junge übrig geblieben war. Sie hatten mit dem Finger auf ihn gezeigt und schäm dich gesungen, genau so wie man es in dem Lied machen sollte, und er hatte angefangen zu weinen. Niemand hatte ihm wirklich etwas Böses antun wollen, und dennoch hatte man ihm so übel mitgespielt. In diesem Moment fielen Maria die Kinder ein. Krister war zu einem Kursus gefahren. Die Kinder sollten um fünf von der Tagesstätte abgeholt werden. Sie würde nun gezwungen sein, die Schwiegermutter darum zu bitten, die Kleinen abzuholen, und damit den ständigen Klageliedern neuen Stoff zu geben. Eine gute Mutter erzieht ihre Kinder selbst. Sie gibt sie nicht weg zu fremden Menschen. Eine gute Mutter sorgt für Ordnung und Sauberkeit in ihrem Haus, backt Kuchen, kocht Marmelade und umsorgt ihren Mann. Eine gute Mutter wird jedenfalls nicht Polizistin, trinkt kein Bier und fahrt nicht Motorrad. So konnte man das wohl zusammenfassen. Sie hätten niemals nach Kronköping ziehen sollen. Maria sehnte sich so stark nach Uppsala, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Der Schwiegervater hatte Krister eine Teilhaberschaft in der Firma verschafft, in der er nun als EDV-Berater arbeitete. In Uppsala war er selbständig gewesen. Das Einkommen war weniger sicher gewesen, aber sie waren allemal glücklicher gewesen. Ahnungslos waren sie auf das Angebot der Schwiegereltern eingegangen und hatten deren Haus übernommen. Die ältere Generation war in eine Wohnung eine Straße weiter gezogen. Das war der größte Fehler gewesen. Die Schwiegermutter hatte ihren Schlüssel behalten. Mehrere Male hatte Maria ihren Mann angefleht, er möge seine Mutter bitten, den Schlüssel herzugeben, oder das Türschloss auswechseln, aber er hatte sich nicht dazu durchringen können. Nicht mal als sie an einem Sonntagmorgen vor zwei Wochen eine Weile Zeit für sich hatten. Die Kinder saßen vor dem Fernseher. Sie waren ausgeruht. Die Lust und die Nähe waren da. Ein seltener Augenblick und eine günstige Gelegenheit. Im Augenblick wildester Begierde und heftigster Umarmung war die Stimmung plötzlich auf den Nullpunkt gesunken. »Wir sind jetzt hier! Hier habt ihr uns! Wo sind denn meine kleinen Lieblinge? Aber Krister, seid ihr noch nicht aufgestanden, es ist doch schon fast elf!« Maria wurde bei der Erinnerung daran so wütend, dass sie unabsichtlich Gas gab und beinahe auf den Wagen vor ihr aufgefahren wäre. In Uppsala hatte sie am Küchentisch gesessen, kleine Papiermöbel ausgeschnitten und Skizzen für den geplanten Umbau der Küche und des Badezimmers angefertigt. Auf dem Papier hatte das so schön ausgesehen. In Wirklichkeit war daraus ein großer Familienkrieg geworden, als die alte Kücheneinrichtung hinausgeworfen wurde und die Schwiegermutter den Trümmerhaufen auf ihrem täglichen Spaziergang am alten Zuhause vorbei zu sehen bekam. Krister hatte zuerst geglaubt, sie würde einen Schlaganfall kriegen. Völlig hysterisch hatte sie geschrien: »Immer raus damit! Schmeiß den Scheiß weg und kauf was Neues! Vergiss einfach, dass dein Vater bis tief in die Nacht hinein geschuftet hat, damit die Küche fertig wurde.« Das war irgendwann in den fünfziger Jahren gewesen, soweit sich Krister erinnern konnte, und der Vater hatte wirklich getischlert und sich abgerackert. Die Spüle war niedrig und wenig rückenfreundlich, und der Herd stammte aus einer Zeit, als das Wort kindersicher noch nicht erfunden war. Die elektrische Anlage hatte der Schwiegervater auch ausnahmslos allein installiert. Krister, der mit der Lebensweisheit aufgewachsen war »wenn du die Spüle und den Herd gleichzeitig berührst, dann stirbst du«, empfand das durchaus als nicht so erschreckend und gefährlich wie Maria. Es war doch bisher niemand zu Schaden gekommen, oder? Nach dem Umbau der Küche hatte die Schwiegermutter mehrere Wochen lang geschwiegen. Jetzt nahmen sie ihren Mut zusammen und wollten das Bad renovieren. Einmal hatte Maria in ihrer Einfalt geglaubt, es sei ihr geglückt, an den Schlüssel der Schwiegermutter zu kommen. Das war im Herbst gewesen, kurz nachdem sie eingezogen waren. Es gab einen Spielplatz in der Nähe ihres Hauses. Dort war Maria mit den Kindern gewesen. Sie war auf dem Gras herumgekrochen, war das Pferd für Emil und Linda gewesen. Der
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