Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
zustande. »Hör zu«, sagte ich, bevor mein Vater auch nur Luft holen konnte. »Ich werde nie wieder nach Hause zurückkommen.«
    Ich wartete darauf, dass er mir vehement widersprechen würde oder dass er zusammenbrechen und mit tränenerstickter Stimme gestehen würde, zwei Tage lang die Straßen von Chicago nach mir abgesucht zu haben. Doch stattdessen stieß mein Vater nur einen leisen Pfiff aus. »Sag niemals nie, Kind«, sagte er. »Das könnte sich als Bumerang erweisen.«
    Ich hielt den Hörer so fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Mein Vater, einer der Menschen – nein, der einzige Mensch – in meinem Leben, den es interessierte, was aus mir werden würde, schien jedoch gar nicht sonderlich besorgt. Sicher, ich hatte ihn enttäuscht, aber konnte das die ganzen achtzehn Jahre einfach ausradieren? Einer der Gründe, warum ich den Mut aufgebracht hatte zu gehen, war, dass ich tief in meinem Inneren davon überzeugt gewesen war, dass er immer auf mich warten würde, dass ich nicht wirklich allein sein würde.
    Nun schauderte ich jedoch und fragte mich, ob ich mich auch in Dad geirrt hatte, und wusste nicht, was ich antworten sollte.
    »Vielleicht könntest du mir ja sagen, wohin du willst«, sagte mein Vater in ruhigem Ton. »Ich weiß, dass du zum Busbahnhof gegangen bist, doch dann sind die Details ein wenig unscharf.«
    »Wie hast du das herausgefunden?« Ich schnappte nach Luft.
    Mein Vater lachte – ein Geräusch, das mich vollkommen einhüllte. Ich glaube, sein Lachen war meine erste Erinnerung. »Ich liebe dich«, sagte er. »Was hast du denn erwartet?«
    »Ich bin in Massachusetts«, verriet ich ihm. Ich fühlte mich mit jeder Minute besser. »Aber mehr sage ich nicht.« Die Cellistin griff zu ihrem Bogen und zog ihn über die Saiten. »Was das College betrifft, so weiß ich noch nicht …«, fuhr ich fort.
    Mein Vater seufzte. »Das ist kein Grund, einfach so abzuhauen«, murmelte er. »Du hättest doch zu mir kommen können. Es gibt immer …« In diesem Augenblick rauschte ein Bus vorbei und verschluckte den Rest von Daddys Worten. Und es gefiel mir, dass ich ihn nicht hören konnte. Es war leichter, als zugeben zu müssen, dass ich nicht wissen wollte, was mein Vater zu sagen hatte.
    »Paige?«, hakte mein Vater nach. Offenbar hatte ich eine Frage verpasst.
    »Dad«, sagte ich, »hast du die Polizei verständigt? Weiß irgendwer, dass ich weg bin?«
    »Ich habe keiner Menschenseele was gesagt«, antwortete er. »Ich habe daran gedacht, weißt du, aber eigentlich war ich davon überzeugt, dass du jeden Moment wieder zur Tür hereinkommen würdest. Ich habe es gehofft .« Seine Stimme wurde immer leiser und dumpfer. »Die Wahrheit ist, ich habe nicht geglaubt, dass du einfach gehen würdest.«
    »Das hat nichts mit dir zu tun«, verteidigte ich mich. »Das musst du wissen. Es hat wirklich nichts mit dir zu tun.«
    »Doch, es hat etwas mit mir zu tun, Paige. Wäre es anders, hättest du nie auch nur daran gedacht zu gehen.«
    Nein , wollte ich ihm sagen, das kann nicht wahr sein. Das kann nicht wahr sein, weil du mir all die Jahre gesagt hast, es habe nichts mit mir zu tun, dass sie gegangen ist. Es kann nicht wahr sein, weil du das Einzige bist, das zurückzulassen mir schwergefallen ist. Doch die Worte blieben mir in der Kehle stecken, während mir gleichzeitig die Tränen über die Wangen rannen. Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Nase. »Vielleicht komme ich eines Tages ja wieder zurück«, sagte ich.
    Mein Vater trommelte mit dem Finger auf die Sprechmuschel, so wie er es auch immer getan hat, als ich noch klein war und er über Nacht wegmusste, um seine Erfindungen an den Mann zu bringen. Hast du das gehört? , hat er dann immer geflüstert. Das ist das Geräusch eines Kusses, der in dein Herz galoppiert.
    Ein Bus von Gott weiß woher fuhr in den Busbahnhof ein. »Ich bin vor lauter Sorge fast verrückt geworden«, gab mein Vater zu.
    Ich beobachtete, wie Wasser von den Reifen des Busses auf den Asphalt der Einfahrt tropfte. Ich musste an die Rube-Goldberg-Maschinen meines Vaters denken, die er nur konstruiert hatte, um mich damit zu unterhalten – zum Beispiel einen Wasserhahn, aus dem Wasser in einen Abfluss floss, um dort wiederum einen Propeller anzutreiben, der seinerseits ein Paddel bewegte, das mit einem Zugseil verbunden war, welches schließlich die Cornflakes-Schachtel zum Frühstück öffnete. Mein Vater konnte das Beste aus allem machen, was man ihm gab. »Mach dir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher