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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe
Autoren: Jodi Picoult
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Woche, nachdem es passiert war, und hoffte, dass es während der Abschlussfeier zu irgendeiner Art von Verständigung kommen würde. Mein Vater hat während der Feier regelrecht gelitten und niemals ›Herzlichen Glückwunsch‹ gesagt. Er bewegte sich an diesem Tag durch die Schatten in unserem Haus, als fühle er sich unwohl in seiner eigenen Haut. Um 23.00 Uhr schauten wir uns die Spätnachrichten an. Die wichtigste Nachricht des Tages handelte von einer Frau, die ihr drei Monate altes Kind mit einer Dose Fisch erschlagen hatte. Die Frau war in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden, und ihr Mann sagte den Reportern, dass er es hätte kommen sehen müssen.
    Als die Nachrichten vorbei waren, ging mein Vater zu seinem alten Kirschholzschreibtisch und holte eine blaue Samtschachtel aus der obersten Schublade. Ich lächelte. »Ich dachte, du hättest es vergessen«, sagte ich.
    Er schüttelte den Kopf und schaute schweigend zu, wie ich mit den Fingern über den weichen Deckel strich und auf Perlen oder Smaragde hoffte. Im Inneren lag ein Rosenkranz mit wunderbaren Perlen aus feinstem Holz. »Ich dachte, den könntest du vielleicht gebrauchen«, sagte Daddy leise.
    Als ich in jener Nacht meine Sachen packte, sagte ich mir selbst, ich würde das nur tun, weil ich ihn liebe, ich wollte nicht, dass er die Last meiner Sünden für den Rest seines Lebens tragen musste. Ich packte nur praktische Kleidung ein, und ich zog meine Schuluniform an, weil ich glaubte, das würde mir helfen, mich unter die Leute zu mischen. Technisch gesehen lief ich nicht weg. Ich war achtzehn und somit volljährig. Ich konnte kommen und gehen, wann ich wollte.
    Meine letzten drei Stunden daheim verbrachte ich unten in der Werkstatt meines Vaters und überlegte mir verschiedene Formulierungen für meinen Abschiedsbrief. Ich strich mit den Fingern über Daddys neuestes Projekt. Es war eine Geburtstagskarte, die ein kleines Liedchen sang, wenn man sie aufklappte, und wenn man dann auf die Ecke drückte, blies sie sich automatisch zu einem Ballon auf. Daddy sagte, für so ein Zeug gäbe es tatsächlich einen Markt. Mein Vater hatte allerdings noch Probleme mit der Musik. Er wusste nicht, was mit dem Mikrochip passieren würde, wenn das Ding sich aufblies. »Eigentlich«, hatte er am Tag zuvor gesagt, »denke ich, dass ein Gegenstand, den man besitzt, sich nicht plötzlich in etwas anderes verwandeln sollte.«
    Zu guter Letzt schrieb ich schlicht: Ich liebe dich. Es tut mir leid. Ich werde schon zurechtkommen. Als ich mir die Worte noch einmal durchlas, fragte ich mich, ob es stimmte. Tat es mir leid, dass ich ihn liebte oder dass ich zurechtkommen würde? Schließlich legte ich den Stift beiseite. Ich glaubte, dass ich die Verantwortung dafür trug, und ich war sicher, dass ich ihm irgendwann sagen würde, wo ich gelandet war. Am nächsten Morgen brachte ich den Rosenkranz zu einem Pfandleiher in der Stadt. Dann kaufte ich mir mit der Hälfte meines Geldes eine Busfahrkarte, die mich von Chicago so weit weg wie möglich bringen würde. Dabei versuchte ich mir mit aller Kraft einzureden, dass es nichts gab, was mich hielt.
    Im Bus dachte ich mir dann falsche Namen und Lebensgeschichten aus und erzählte sie jedem, der mich fragte. Auf einem Rastplatz in Ohio beschloss ich, in Cambridge, Massachusetts auszusteigen. Das lag nahe genug an Rhode Island und klang anonymer als Boston. Außerdem fühlte der Name sich einfach gut an. Er erinnerte mich an dunkle englische Sweatshirts, Gelehrte und andere schöne Dinge. Dort würde ich genug verdienen, um mir einen Platz an der Rhode Island School of Design leisten zu können, der RSID. Nur weil das Schicksal mir wieder einmal einen Stock zwischen die Beine geworfen hatte, musste ich meine Träume noch lange nicht aufgeben. Ich schlief ein und träumte von der Jungfrau Maria, und ich fragte mich, woher sie gewusst hatte, dass sie dem Heiligen Geist vertrauen konnte, als er zu ihr gekommen war, und als ich aufwachte, da hörte ich eine Geige, und sie kam mir wie die Stimme eines Engels vor.
*
    Ich rief meinen Vater von einem Münztelefon im Brattle Square Busbahnhof aus an. Ich meldete es als R-Gespräch an. Während ich wartete, beobachtete ich eine kahle, alte Frau beim Stricken auf einer Bank und eine Cellistin, die sich Lametta in die Rastazöpfe geflochten hatte. Dann versuchte ich, das verschlungene Graffiti an der gegenüberliegenden Wand zu lesen, und in diesem Augenblick kam die Verbindung
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