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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel
Autoren: Jan Stressenreuter
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jeder Toilettenbenutzung mit einer Sagrotan -Flasche bewaffnet ins Bad springt, um die Klobrille von imaginären Bakterien zu befreien, dass wir sämtliche Desinfektionsmittel in den Müll geworfen und uns stillschweigend darauf geeinigt haben, keinen neuen Mitbewohner zu suchen. Mir war das sowieso lieber, da mein Zimmer eigentlich ein Durchgangsraum ist und somit für die Rumpelkammer, wie wir sie jetzt nennen, die einzige Verbindung zum Rest der Wohnung darstellt. Stattdessen haben wir an einer Wand ein schmales Feldbett aufgestellt – Lars hat es in einem Armyshop erstanden –, auf dem hin und wieder jemand übernachten kann, der es von unseren Samstagabend-Exzessen, für die unsere WG berüchtigt ist, nicht mehr nach Hause schafft. Und genau von diesem Feldbett dringt jetzt ein ungewohntes, nervtötendes Schnarchen zu mir herüber und macht mich ganz unruhig.
    Eigentlich ist es mehr ein Grunzen. Es klingt laut, kehlig, satt und zufrieden, irgendwie schweinisch – und es verursacht eine Erektion bei mir. Ich setze mich verärgert auf. Ich kann es wohl vergessen, heute Nacht noch ein Auge zuzumachen. Lautlos steige ich aus dem Bett, ziehe meine Schlafanzughose zurecht und schleiche mich auf Zehenspitzen zur Tür. Millimeter um Millimeter schiebe ich sie auf, bis ein Spalt entsteht, der groß genug ist, damit ich den Mann auf der Liege betrachten kann. Ich komme mir vor wie ein Spanner. Auch bei ihm fällt das Mondlicht genau auf das Bett und ich beobachte mit angehaltener Luft, wie sich sein nackter Brustkorb bei jedem geräuschvollen Atemzug hebt und senkt. Seine Arme sind sehr behaart, bis hinunter zu den Handrücken. Einen Arm hat er weit von sich gestreckt, sodass er aus dem Bett heraushängt, der andere Arm verschwindet unter der Decke, die ich ihm vor ein paar Stunden zugeworfen habe. So wie er daliegt, erinnert er mich an ein Gemälde von Caravaggio: Er besitzt die gleiche Sinnlichkeit und Erotik, die ich verspüre, wenn ich mir ein Bild des Malers ansehe.
    Die Liege ist zu klein für den Mann, immerhin überragt er mich um ein paar Zentimeter, und seine Füße baumeln über das Bettende hinaus. Er bewegt sich im Schlaf und dreht mir das Gesicht zu. Es ist so hell in dem kleinen Raum, dass ich erkennen kann, wie sich seine Augen unter den geschlossenen Lidern bewegen. Er träumt. Eine dunkle Haarsträhne fällt über seine Stirn und er streicht sie im Schlaf zurück. Noch ein Unterschied, den ich nicht erwartet habe. Ich habe immer gedacht, dass alle, die so sind wie er, blonde Locken haben. Blonde Locken und strahlend blaue Augen. Seine Augen dagegen sind pechschwarz, und wenn man ihn ansieht, kann man nicht erkennen, was er denkt. Außerdem hat er Grübchen auf den Wangen, wenn er lacht. Und wer hat schon mal gehört, dass einer wie er Grübchen hat! Zu gerne würde ich seinen nackten Rücken betrachten, ob da nicht irgendwo … aber nein, das wäre mir aufgefallen, gleich zu Anfang. Im Grunde sieht er völlig unglaubwürdig aus. Genauso wie das, was er sagt, unglaubwürdig ist. Und wie er sich benimmt, erst recht. Jemand wie er würde niemals fluchen. Glaube ich wenigstens. Und seit ich ihn kenne, was zugegebenermaßen erst ein paar Stunden ist, hat er zweimal laut und vernehmlich „Scheißdreck!“ gesagt.
    Über meine Gefühle diesem Mann gegenüber bin ich mir unsicher. Wenn ich die kontinuierliche Blutzufuhr in meinen Schwanz als Maßstab nähme, wäre die Sache klar. Ich würde mich zu dem Feldbett schleichen und so schnell wie möglich unter die Decke kriechen, um die erogenen Zonen dieses Neuankömmlings zu erkunden. Mein Kopf allerdings sagt mir, dass ich mich besser von diesem Mann fern halten sollte, er bringt nur Chaos in mein Leben. Er hat diese Aura, unsichtbar, aber deutlich zu spüren, die mir „Achtung: Schwierigkeiten!“ signalisiert. Und Probleme sind das Letzte, was ich zurzeit gebrauchen kann. Außerdem habe ich eigentlich genug von Männern. Nach dem Reinfall mit Finn habe ich mir Beziehungsverbot erteilt. Trotzdem kann ich meine Blicke kaum von dem Mann abwenden, denn ich habe das irritierende Gefühl, ihn zu kennen.
    Seufzend schließe ich die Tür und achte darauf, dass sie diesmal richtig ins Schloss fällt. Es wäre mir peinlich, wenn mein Gast morgen früh denkt, ich hätte ihn in der Nacht ausspioniert.
    Aus der Küche dringt leises Gemurmel. Die anderen sind also auch noch wach. Hätte ich mir denken können. Gesprächsstoff haben sie ja im Moment genug. Missmutig
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